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Geheimnisvolle Ruine am See Genezareth

Das Kulturerhalt-Programm des Auswärtigen Amts ermöglicht einem deutsch-israelischen Archäologenteam die Erforschung eines geschichtsträchtigen Umayyadenpalasts.

18.04.2016

Die Geschichte der Ausgrabung von Khirbat al-Minya (Horvat Minim) beginnt Ende des 19. Jahrhunderts mit einem Missverständnis. Ohne dieses Missverständnis würde der Archäologe Hans-Peter Kuhnen nicht mehrmals im Jahr von Deutschland nach Israel reisen, um die Ruinen am See Genezareth zu erforschen. Denn ohne dieses Missverständnis hätte man bis heute nicht entdeckt, wie bedeutend sie sind. Die Ruinen liegen am nördlichen Ufer des Sees. Als europäische Forscher sie dort entdeckten und keine Hinweise auf spätantike Kirchen oder Synagogen fanden, schlossen sie, dass es sich um die Reste Kafarnaums handeln müsse. Jenem Fischerdorf, in dem Jesus gewohnt hatte, und aus dem fünf seiner Jünger stammten. Für christliche Forscher aus aller Welt ein Ort von größtem Interesse. 1895 erwarb der „Deutsche Verein vom Heiligen Land zu Köln“ das Grundstück. Etwa neun Jahre lang konnte man sich freuen, Kafarnaum zu besitzen. Bis das eigentliche Kafarnaum zehn Kilometer östlich entdeckt wurde.

Was aber hatte man dann gekauft? Um eine Antwort zu finden, begannen katholische Archäologen 1911 die Ruinen freizulegen. Bei mehreren Ausgrabungen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs stießen sie auf die Grundmauern eines gewaltiges Bauwerkes: ein quadratischer Palast mit etwa 70 Meter langen Wällen, mit Wehrtürmen an den Ecken und in der Mitte der Mauern, mit Mosaiken, mit Thronsälen und – mit einer der ältesten Moscheen im Heiligen Land. „Der Ort ist eine der bedeutendsten islamischen Fundstellen in Israel“, sagt Archäologe Hans-Peter Kuhnen, der an der Universität Mainz das Institut für Altertumswissenschaften leitet. Khirbat al-Minya ist ein sogenanntes Wüstenschloss aus dem frühen achten Jahrhundert. Ein Palast der umayyadischen Kalifen, die 661 begonnen hatten, von Damaskus aus die Region zu beherrschen. Als solches ist er „einer der Schlüsselplätze, an dem man den Übergang zwischen der byzantinischen Zeit zur islamischen studieren kann.“ Denn viele andere Wüstenschlösser sind überbaut worden, und schriftliche Quellen aus der Zeit sind rar.

Die Ruine von Khirbat al-Minya aber verrät zum Beispiel, wie die muslimischen Herrscher mit anderen Religionen umgingen. So entschied man sich, den Palast nicht etwa über der nahen Pilgerkirche von Tabgha zu bauen, sondern abseits davon. Kirchen und Synagogen der Umgebung blieben unzerstört. „Solche Erkenntnisse sind heute, wo der Begriff des Kalifats ja ganz anders gebraucht wird, wichtiger denn je”, sagt Kuhnen. Doch die Ruine hat es schwer. Inmitten der vielen jüdischen und christlichen Sehenswürdigkeiten finden kaum Touristen zu ihr. Gleichzeitig wird sie durch Bewuchs und Witterung angegriffen. Seit Kuhnen 2009 erstmals mit Studenten den Ort erforschte, hat sich der Zustand immer weiter verschlechtert. „An manchen Stellen ist der Kalkstein so mürbe, dass Sie mit dem Finger ein Loch hineinbohren können.”

Das Problem: Die „Israel Nature and Parks Authority“, die das Gelände vom „Deutschen Verein“ gepachtet hat, ist ein Eigenbetrieb und muss den Erhalt der vielen historischen Stätten selbst refinanzieren. Staatliche Förderung gibt es für das Architekturdenkmal nicht. Trotzdem hat Kuhnen 2015 damit begonnen, die Anlage zu restaurieren und setzt das Projekt auch in 2016 fort. Mit insgesamt 92.000 Euro aus dem Kulturerhalt-Programm des deutschen Auswärtigen Amts. Das Programm unterstützt im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik seit 1981 weltweit Initiativen, die kulturelles Erbe bewahren wollen. Die Projekte reichen vom Digitalisieren namibischer Popmusik über das Konservieren islamischer Handschriften in Timbuktu bis zur Restaurierung der ehemaligen Synagoge Beth-El im brasilianischen São Paulo – insgesamt bisher mehr als 2700 Initiativen in 144 Ländern.

Khirbat al-Minya hilft das Geld dabei auch indirekt. Durch die Förderung aus Deutschland fällt es auch den israelischen Partnern leichter, Geld und Personal aufzubringen. „Ich bin froh, dass das Auswärtige Amt mit der Förderung ein Zeichen gesetzt hat“, sagt Kuhnen. Am Palast arbeiten so immer deutsche und israelische Experten zusammen. Im September 2016 soll es weitergehen. Dann wird auch ein Team von Bauforschern der Hochschule RheinMain aus Wiesbaden mit der verformungsgerechten Bauaufnahme der Anlage beginnen. Für Kuhnen, der 1982 mit einer Arbeit über die römischen Siedlungen im Karmelgebirge promoviert hat, schon seinen Zivildienst bei der Aktion Sühnezeichen geleistet hatte, und fließend Iwrit spricht, ist der Aufenthalt in Israel fast Alltag. Für die Studenten, die ihn begleiten, ist es oft ein erster Kontakt mit einem Land, das sie bis dahin meist mit negativen Nachrichten verbinden.

Als Kuhnens studentische Assistentin Nina Termin 2012 zum ersten Mal mit nach Israel flog, sagten ihre Eltern: „Wir haben doch so schöne römische Sachen hier, da muss Du doch nicht weg!“ Aber Nina Termin wollte. Denn: „Nichts ersetzt den 360-Grad-Blick in die Landschaft.“ Weder Fotos noch Grabungsberichte. Seit 2014 war die 25-Jährige nun fünf Mal dort – und dabei hat sie nicht nur die Vergangenheit erkundet. Einmal mietete sie sich für drei Wochen bei einer älteren, ultraorthodoxen Frau ein, die sie auf ein Schabbat-Essen bei einem Sofer, einem Toraschreiber, mitnahm. „Das zu erleben, war eine Bereicherung”, sagt Termin.

Später besuchten sie zusammen Khirbat al-Minya. Ihre Gastgeberin kannte die Ruine nicht, obwohl sie in der Nähe wohnt. . Das verwunderte nicht. Die Anlage war nur mit dem Nötigsten beschriftet und von der Straße verwies kein Schild auf sie. Wenn es nach Kuhnen und Termin geht, soll sich das weiter verbessern. „Wir wollen zeigen, dass hier nicht bloß Dornengestrüpp und Palmen sind“, sagt Kuhnen. Denn ein weiteres Missverständnis braucht Khirbat al-Minya nicht. ▪