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Studium mit Zukunft

Der interkulturelle Masterstudiengang REMENA bildet in Kassel und Kairo Experten für Erneuerbare Energien aus.

26.03.2014
© Paavo Blofield - REMENA

Aus Abfall können wir Gold machen“, prägt Professorin Fatma Ashour ihren Studierenden ein. „Er ist kein wertloser Rest, sondern der Anfang für Neues“, erklärt die Ägypterin sichtlich begeistert. Um ihre Worte wirken zu lassen, legt sie eine kurze Kunstpause ein und blickt energisch in die Runde. Dort sitzen 15 Studentinnen und Studenten aus einem halben Dutzend Ländern, die eifrig mitschreiben. Sie befinden sich in einer Vorlesung an der Universität Kassel zum Thema „Potenziale von Bioabfall“ und lernen in diesen eineinhalb Stunden, was man mit vermeintlich nutzlosen Rückständen alles anstellen kann: Bioenergie gewinnen aus vergorenen Pflanzenresten, aber auch Lösungsmittel herstellen aus Nussschalen. Die Kosten für Material und Produktion betrügen nur etwa ein Dollar, verkaufen könne man den Liter dann für zwei bis drei, schwärmt die Professorin. „Das ist ein toller Profit, den wir da aus dem Müll ziehen.“

Später am Nachmittag erfahren die Studierenden etwas über die makroökonomischen Aspekte von Energie. Professor Mohammed El-Sobki von der Universität Kairo erklärt, warum Licht in einem Laden ein bedeutsamer Kostenfaktor ist, in einer Zementfabrik hingegen nicht: Im ersten Fall mache die Beleuchtung 40 Prozent des Energieverbrauchs aus, im zweiten aber nur 0,01. „Deshalb immer an die Wirkung denken“, gibt er seinen Zuhörern mit auf den Weg. So oder ähnlich geht es den ganzen Tag weiter: Denn hier in Kassel tauchen die Studenten ein in die Welt der Energie, genauer – der regenerativen Energien, die endlos verfügbar sind und doch immerzu gewonnen werden müssen. Die das Ölzeitalter beenden und das Klima schützen sollen. „Energiewende“ heißt dieser fundamentale Wandel mittlerweile auch in anderen Sprachen.

Doch damit Windenergie nicht nur heiße Luft bleibt und Sonnenenergie mehr ist als eine Fata Morgana, braucht es Experten: Fachleute, die diesen Wandel begleiten, weil er womöglich ebenso bedeutsam ist wie die Erfindung des Buchdrucks oder der Dampfmaschine. Genau darum geht es in Kassel beim Masterstudiengang REMENA, der seit 2009 – inzwischen jährlich knapp zwei Dutzend – junge Menschen mit den Eigenheiten von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien vertraut macht, mit ihrer technischen Seite natürlich, ihrer bio-chemischen, wirtschaftlichen, aber auch ihrer gesellschaftlichen und politischen. Denn sie nur bereitzustellen genügt nicht, obwohl das schon Aufgabe genug ist. Es braucht zudem das entsprechende Verständnis der politisch Verantwortlichen und eine Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch darüber redet Professor El-Sobki an diesem Winternachmittag in seiner Vorlesung, in der es äußerst lebhaft zugeht, weil der Ägypter keine Monologe hält, sondern Argumente wägt und windet, zerlegt und neu zusammenfügt – immer im intensiven Gespräch mit seinen Studierenden.

Die sind gefordert, nicht nur bei ihm. Ihr Arbeitstag ist lang, das Pensum anspruchsvoll. Von halb neun bis 18 Uhr dauert ein typischer Uni-Tag; danach schließen sich für die meisten noch Sprachkurse an, denn REMENA, das für regenerative Energien und Energieeffizienz (RE) im Nahen Osten (Middle East – ME) und Nordafrika (NA) steht, ist gleich in mehrerlei Hinsicht ein einzigartiger Studiengang: interdisziplinär sowieso, aber auch interkulturell und international. Die eine Hälfte der Kurse findet in Kassel statt, die andere in Kairo. Im Moment zwar nicht, weil die Kairo-Anteile wegen der Unruhen in Ägypten vorübergehend nach Deutschland verlegt wurden. Sobald es die politische Lage zulässt, soll sich das wieder ändern. Danach folgt ein Praxisteil, idealerweise in einem Forschungsinstitut oder Unternehmen für Erneuerbare Energien in der arabischen Welt und zum Schluss noch die Masterarbeit. Umgangs- und Lehrsprache ist Englisch, aber Arabisch- und Deutschkenntnisse werden auch vermittelt, so dass sich die einen abends mit dem Lesen von rechts nach links abmühen und die anderen mit Umlauten. Nach insgesamt 21 Monaten halten die Studenten eine Masterurkunde von der Universität Kassel und einen von der Universität Kairo in Händen.

Doch es ist nicht allein das Doppelzertifikat allein, das die Studierenden lockt, von denen viele bereits eine Ingenieurausbildung absolviert haben. Andere kommen als Wirtschaftswissenschaftler, Stadtplaner, Architekten oder Philosophen – überwiegend aus Ländern der MENA-Region, aber mittlerweile neben Deutschland auch noch aus Finnland und sogar Ecuador oder Jamaika. Voraussetzung sind ein Bachelor und Erfahrung mit Energiethemen. Meist reizt sie an dem Studiengang jedoch diese besondere Mischung aus zukunftorientierten Fachgebiet, hohem Praxisanteil und internationalem Anspruch.

Ich möchte ein „change maker“ sein, begründet der Ägypter Mohamed Shehata etwa die Teilnahme am Programm. Seine bisherige Ingenieur-Tätigkeit reichte ihm nicht, er wollte mehr machen, mehr sein als ein Technokrat. Erneuerbare Energien scheinen ihm der richtige Weg, seine Ideale zu verwirklichen, denn „Sonne und Wind kosten nichts; wir haben es im Überfluss. Damit will ich einen Beitrag leisten zur Zukunft meines Landes“. Auch seine Kommilitonin Amal Moussa, ebenfalls Ingenieurin, möchte Ägypten voranbringen. Sie träumt davon, eines Tages die Touristenboote auf dem Nil mit Photovoltaikanlagen auszustatten und den Betreibern dadurch höhere Einnahmen zu verschaffen. Nicht alle Studierenden formulieren ihre Ziele gleich so hehr wie Mohamed Shehata und Amal Moussa, aber fast immer treibt sie mehr an als allein der Wunsch nach einer gut bezahlten Stelle.

Damit entsprechen sie auch genau den Vorstellungen der Initiatoren des Studiengangs, der auf das deutsch-ägyptische Jahr der Wissenschaft 2007 zurückgeht und unter dem Motto „Linking Master Minds“ stand. Daraus entwickelte sich dann REMENA, das wegen seines besonderen Anspruchs im Moment noch von verschiedener Seite gefördert wird, darunter von der deutschen Bundesregierung, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), Entwicklungsorganisationen wie GIZ und KfW, diversen Fraunhofer Instituten und einigen mehr. Sie alle verbinden mit dem Studiengang die Hoffnung auf „Capacity Building“, also auf mehr schlaue Köpfe und umtriebige Persönlichkeiten, die aus der Vision endlos verfügbarer umweltfreundlicher Energie bald eine Realität machen. Oder wie Studiengangsleiter Professor Dirk Dahlhaus sagt: „Wenn das Gold auf der Straße liegt, brauchen Sie keine Goldgräber auszubilden. Allerdings liegt das `erneuerbare Gold` noch tief verborgen.“ In Kassel und Kairo arbeiten sie schon an den Schürfstellen. ▪

Friederike Bauer