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Synergie in der Wissenschaft

Alle Theorie ist grau? Von wegen. Die deutsch-israelische Wissenschaftskooperation floriert in schillernder Vielfalt.

Susanne Knaul, 21.04.2016
© Naftali Hilger

Was passiert in unseren Köpfen auf dem Weg zwischen der Wahrnehmung bis hin zum Handeln? Und was verändert sich physisch, anatomisch im Gehirn, wenn wir etwas Neues lernen? Drei deutsche Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft in München und drei israelische Forscher der Hebräischen Universität in Jerusalem wollen des Rätsels Lösung gemeinsam ein Stück näherkommen. „Wir sind die Theoretiker, die Deutschen die Experimentalisten“, sagt Idan Segev vom Edmond and Lily Safra Center for Brain Sciences (ELSC). Der drahtige Mittsechziger mit grauem Lockenkopf sitzt in Turnschuhen und grüner Jeans vor dem Computer und deutet auf das Objekt seiner Leidenschaft: das Gehirn. Wer ihm länger als fünf Minuten zuhört, ist überzeugt davon, dass es keine wichtigere Wissenschaft gibt als die Erforschung unserer grauen Zellen.

Segevs Begeisterung ist ansteckend. Sicher auch deshalb ist er am 11. Februar als Redner zu dem Kolloquium in Rehovot geladen, das vom israelischen Weizmann-Institut und der deutschen Minerva-Stiftung der Max-Planck-Gesellschaft organisiert wird. Anlass ist das Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Wie bedeutend die Wissenschaftskooperationen für diese Beziehungen sind, zeigt die Teilnahme der deutschen Bildungsministerin Johanna Wanka an dem Empfang der beiden Organisationen einen Tag zuvor.

Das deutsch-israelische Sextett um Idan Segev arbeitet paarweise in drei Gruppen. Angelegt ist das Projekt Max Planck Hebrew University Center for Sensory Processing of the Brain in Action auf fünf Jahre. Der Start war im Januar 2013. Segevs Gegenüber in München ist Alexander Borst, ihr gemeinsames Forschungsobjekt die Obstfliege und speziell die Informationsverarbeitung im visuellen System der Fliege. Der Sehapparat der Fliege hat überschaubar wenig Neuronen, die gentechnisch manipuliert und anschließend in Aktion beobachtet werden können. „Borst ist Weltexperte“, begeistert sich Segev für die Zusammenarbeit. „Er experimentiert und prüft, wie das Licht aufs Auge der Fliege trifft und welche Phasen es bis hin zum Flügelschlag durchläuft“, erklärt Segev, „ich baue anhand der Experimente ein Computermodell, eine mathematische Simulation des visuellen Systems und der Lichtverarbeitung“.

Wegbereiter Wissenschaftskooperation

Für die Wissenschaftler beider Seiten sei es ein „Win-win“, sagt Segev, und auch umgekehrt schwärmt der Münchner Neurobiologe Tobias Bonhoeffer für das gemeinsame Projekt. „Die Hebräische Universität hat wahrscheinlich die besten theoretischen Hirnforscher weltweit.“ Bonhoeffer arbeitet zusammen mit Adi Mizrahi an Mäusen. Der Israeli beobachtet das veränderte Verhalten von Muttertieren nach dem Wurf, Bonhoeffer untersucht die anatomische Veränderung im Gehirn. „Im israelischen Zentrum geht es darum, wie ein Gehirn agiert, wenn es Aktionen ausführen muss und nicht nur passiv beobachtet“, erklärt er. Mit modernen Mikroskopen können die Forscher das Gehirn der lebendigen Maus beobachten. Stolz zeigt Idan Segev das Gerät, das fast ein ganzes Zimmer füllt.

Das Projekt der Hirnforscher, das mit je 300.000 Euro jährlich von der Hebräischen Universität und der Max-Planck-Gesellschaft gefördert wird, ist nur eine von 165 deutsch-israelischen Kooperationen in Wissenschaft und Forschung. Und ständig kommen neue dazu. Allein aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fließen jährlich 6,5 Millionen Euro in Projekte und Stipendien. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel war einer der Wegbereiter für die diplomatischen Beziehungen. Bereits 1964 formalisierte die bei der Annäherung federführende Minerva-Stiftung die Zusammenarbeit zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und dem Weizmann-Institut in Rehovot mit einem Vertrag. Drei Jahre später reisten die ersten israelischen Wissenschaftler auf Einladung von Max-Planck-Instituten nach Deutschland.

In den Jerusalemer Räumen der Hirnforscher herrscht überwiegend kreatives Chaos. Eine offene Kekstüte und leere Wasserflaschen liegen herum, die Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter sitzen konzentriert vor dem Mikroskop oder dem Computer. Nur der Schreibtisch einer Postdoktorandin aus China ist tadellos aufgeräumt, an den Wänden um sie herum hängen mikroskopische Aufnahmen aus dem gefärbten Gehirn einer Maus. Die junge Forscherin wird in den kommenden Monaten zwischen München und Jerusalem pendeln, um eine „interaktive Brücke“, so Segev, zwischen den beiden Instituten herzustellen. Die gesamte Projektgruppe – das sind neben den sechs Professoren etwa 15 wissenschaftliche Hilfskräfte – kommuniziert per Videoschaltungen und trifft sich einmal im Jahr zu einer Konferenz, abwechselnd in Deutschland und in Israel. Segev und Borst haben zudem fast täglich Kontakt per E-Mail. Längst seien aus der Forschungszusammenarbeit Freundschaften entstanden, sagt der Israeli. „Das ist viel mehr als die gemeinsame Arbeit und der intellektuelle Austausch.“

Minerva-Stiftung

Weizmann Institute of Science

"Pioniere des Austauschs"

Interview mit dem Wissenschaftshistoriker und Max-Planck-Direktor Jürgen Renn