Wissenschaft weltoffen: „Deutschland gehört zu den Top-Gastländern weltweit“
Warum ist der Wissenschaftsstandort Deutschland so beliebt bei internationalen Studierenden? Die Antworten hat Dr. Jan Kercher vom DAAD.
Herr Dr. Kercher, wie attraktiv ist Deutschland für internationale Studierende?
Deutschland zählt schon seit vielen Jahren zu den Top-Gastländern. Und zunehmend mehr Menschen möchten in Deutschland studieren oder forschen – im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl um sechs Prozent gestiegen. Dadurch hat Deutschland nun auch Frankreich als Gastland für internationale Studierende überholt und liegt mit aktuell mehr als 280.000 internationalen Studierenden im internationalen Vergleich auf Platz vier – als erstes nicht englischsprachiges Land hinter den USA, Großbritannien und Australien.
Gibt es Herkunftsländer, die besonders stark vertreten sind?
Deutschland zeichnet sich durch eine große Vielfalt in der Herkunft der internationalen Studierenden aus. Die meisten internationalen Studierenden in Deutschland stammen aus China: 37.000 im Jahr 2018. Dennoch machen die chinesischen Studierenden lediglich 13 Prozent aller internationalen Studierenden aus. In Ländern wie den USA oder Australien liegt dieser Wert deutlich höher. Die zweitgrößte Gruppe sind 17.000 Studierende aus Indien. Daran lässt sich ein Trend erkennen, der durch die Zahlen aus weiteren Herkunftsländern noch bestätigt wird: Es sind überwiegend Studierende aus außereuropäischen Ländern, die nach Deutschland kommen.
Wie viele sind es genau?
Rund drei Viertel. Und das ist natürlich schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die europäischen Nachbarländer quasi um die Ecke liegen, das Erasmus-Programm ein niedrigschwelliges Angebot für innereuropäische Mobilität darstellt und wir zudem mit dem Bachelor-Master-System einen einheitlichen europäischen Hochschulraum aufgebaut haben. Anderseits ist es natürlich erfreulich, dass Deutschland auch in ferneren Weltregionen offenbar einen ausgezeichneten Ruf als Studienstandort genießt. Selbst aus den USA kommen zunehmend mehr Menschen zum Studieren zu uns.
Beobachten Sie diese Internationalisierung auch in der Forschung?
Ja, wobei wir hier in Bezug auf die Herkunftsländer einen stärkeren Fokus auf europäische Länder sehen. Sprechen wir von der Gruppe der Forschenden allgemein, liegt Italien vorne; speziell bei Professorinnen und Professoren sind Österreich und die Schweiz auf den ersten Rängen, wahrscheinlich auf Grund der sprachlichen Nähe. Dazu ist in den vergangenen Jahren noch ein weiteres Thema hinzugekommen: In einigen Ländern, wie etwa der Türkei, ist Wissenschaftsfreiheit nur noch eingeschränkt gegeben. Aus diesem Grund wechseln zunehmend viele Forschende nach Deutschland. Ähnliche Motive beobachten wir bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Großbritannien, die es nach Deutschland zieht, da sie auch nach einem möglichen Brexit noch an einem offenen, europäischen Forschungsaustausch teilhaben möchten.
Welche Motive spielen bei jungen Menschen aus dem Ausland eine Rolle, sich für Deutschland als Studienort zu entscheiden?
Entscheidend für viele ist die im internationalen Vergleich quasi einzigartige Kombination des ausgezeichneten Rufs deutscher Hochschulen, besonders im Bereich der Ingenieurwissenschaften, mit vergleichsweise niedrigen Studien- und Lebenshaltungskosten. Beispielsweise in den USA fallen für ein Studium immense Gebühren an und die Top-Unis sind nur für einen Bruchteil der Studierenden zugänglich. Inzwischen bieten deutsche Hochschulen ein großes Angebot an englischsprachigen Studiengängen. Das lockt auch Studierende an, die zu Beginn ihres Auslandsaufenthalts noch nicht so gut Deutsch sprechen.
Interessant ist, dass es wohl auch eine ganze Reihe von Motiven gibt, die gar nicht unmittelbar etwas mit dem Studium zu tun haben.
Richtig. Viele internationale Studierende fühlen sich von der hohen Lebensqualität und dem hohen Technisierungsgrad in Deutschland angezogen. Die Aussicht ist vielversprechend, nach dem Studium einen attraktiven Job zu finden, sei es in Deutschland oder im eigenen Heimatland. Diese Rückkehrer sind Botschafter für Deutschland in der Welt, nicht nur im ökonomischen, sondern sogar im politischen Sinne. Wir wissen von mehreren DAAD-Alumni, die später an Regierungen in ihren Heimatländern beteiligt waren.
Das dürfte natürlich auch stark davon abhängen, wie zufrieden die Studierenden in ihrer Zeit in Deutschland waren. Und ob sie ihr Studium auch erfolgreich abschließen konnten. Gibt es auch hierzu Zahlen?
Ja, das ist ein Bereich, in dem Deutschland auf jeden Fall noch besser werden kann und muss. Im Bachelor-Studium beträgt die aktuelle Abbruchquote für internationale Studierende 45, im Masterstudium 29 Prozent. Der DAAD nimmt das sehr ernst. Im Rahmen des mehrjährigen SeSaBa-Forschungsprojektes versuchen wir mit zwei externen Forschungspartnern, der FernUniversität in Hagen und dem Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung den Ursachen auf die Spur zu kommen.
Liegen schon Ergebnisse vor?
Ein wichtiger Faktor, der bislang wohl etwas vernachlässigt wurde, scheint die Studieneingangsphase zu sein. Hier müssen wir internationale Studierende noch besser unterstützen. Es zeigt sich, dass viele Studierende mit falschen Erwartungen nach Deutschland kommen, zum Beispiel hinsichtlich der Frage, welches Sprachniveau sie tatsächlich brauchen. Selbst wer sich für ein englischsprachiges Studium entschieden hat, braucht ein gewisses Level an Deutschkenntnissen, um beispielsweise mit der nicht-englischsprachigen Hochschulverwaltung zu kommunizieren, oder, noch wichtiger, Anschluss an Mitstudierende oder Menschen vor Ort zu finden. Nur weil in Berlin inzwischen überall Englisch gesprochen wird, gilt das nicht automatisch auch für andere kleinere Standorte. Hinzu kommt unsere im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr selbstständige Art zu studieren. Auch damit haben viele Studierende zumindest zu Beginn Probleme.
Wie könnten Hochschulen die Studierenden unterstützen?
Es gibt hierfür interessante Ansätze, zum Beispiel ein Pilotprojekt an der Universität Köln. Hier haben Studierende aus dem Ausland die Möglichkeit, ein sogenanntes „nulltes“ Semester zu absolvieren, eine Vorbereitungsphase für das deutsche Hochschulsystem. Aber es gäbe noch viele Möglichkeiten, etwa in Form von Online-Angeboten. Ein Good-Practice-Beispiel ist beispielsweise der „Open Distributed Campus“ der FU Berlin, mit dessen Hilfe sich internationale Studierende schon im Heimatland auf ihren Aufenthalt in Deutschland vorbereiten können. Ganz frisch gestartet ist außerdem das Online-Orientierungsstudium der Internationalen Hochschule Bad Honnef (IUBH), bei dem die Studierenden einen Studiengang ihrer Wahl bis zu zwölf Monate per Online-Studium kennenlernen und dabei sogar schon Prüfungsleistungen ablegen können. Entscheidend ist bei all diesen Angeboten, dass die Erwartungen besser mit den realen Bedingungen vor Ort zusammenpassen und damit das Abbruchrisiko entscheidend gesenkt werden kann.
Der Beitrag erschien zuerst auf der Webseite des Alumniportal Deutschland.“