Chancen der Energiewende
Ein Gespräch mit Kazuya Kitamura, dem Leiter des Japan Renewable Energy Research Institute.

Herr Kitamura, nach der Katastrophe im Atomkraftwerk von Fukushima im März 2011 steht Japan vor einem Paradigmenwechsel in der Energieversorgung. Wie ist zurzeit der Entwicklungsstand der regenerativen Energien?
Unsere Energiewirtschaft ist in einer schwierigen Lage. Wir haben 54 Atomkraftwerke im Land, aber momentan laufen nur zwei davon. Das verursacht eine Energieknappheit. Im Sommer ist das Defizit am höchsten. Klimaanlagen verbrauchen dann viel Strom. Auf dem Gebiet der Solarenergie verfügen wir zwar über gute Technik, doch die wurde noch nicht ausreichend installiert. Gleichzeitig gibt es in Japan bereits ein Energie-Einspeise-Gesetz, welches die Abnahme von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen grundsätzlich regelt. Es trat im Juli 2011 in Kraft. Die Regierung berät allerdings noch über die Ankaufmengen und über die Preise. Sie möchte durch den Einsatz von regenerativen Energien zumindest mittelfristig im Sommer die Versorgungslage verbessern.
Welches sind in Japan die erneuerbaren Energien mit dem größten Potenzial?
Die Solarenergie ist die Nummer eins. Wir haben zwar nicht so viele verfügbare Flächen, aber dafür deutlich mehr Sonnenschein als Deutschland. Die Anzahl der Sonnenstunden ist vor allem an der japanischen Ostküste wesentlich höher. Windenergie kommt potentiell an zweiter Stelle. Auf der Nordinsel Hokkaido sind die besten Bedingungen für Windkraft. Allerdings gibt es noch nicht genug Leitungskapazität, um den so erzeugten Strom von dort zum Beispiel nach Tokio zu transportieren. Geothermie hat bei uns ebenfalls gute Perspektiven, aber auch hier müssen erst mal die Anlagen gebaut werden.
Deutschland hat nach dem Unglück von Fukushima große Anteilnahme gezeigt und sich entschlossen komplett und innerhalb weniger Jahre aus der Atomenergie auszusteigen und alle Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. Was hat sich in Bezug auf die regenerativen Energien seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Japan politisch geändert?
Vorher dachte unsere Regierung, der Strom würde auch zukünftig vor allem aus Atomkraftwerken kommen. Doch seit dem Erdbeben im März 2011 und der dadurch ausgelösten Reaktorkatastrophe ist die öffentliche Meinung komplett umgeschwenkt. Jetzt lehnen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung die Atomenergie ab. Das zwingt die Regierung zu einer Politikänderung. Im Herbst 2012 will sie nun über eine neue Energiestrategie entscheiden. Das ist aber zu langsam. Wir müssen schneller handeln.
Sie sind Leiter des Japan Renewable Energy Research Institute. Welche Ziele verfolgt das Institut beim Ausbau der regenerativen Energieerzeugung?
Es geht uns darum, die Verbreitung der regenerativen Energien in Japan zu fördern. Wir sind aber nur ein kleines Institut. Deshalb arbeiten wir bislang hauptsächlich am Sammeln und Verbreiten von Informationen, um so für die Chancen regenerativer Energien zu werben. Langfristig wollen wir auch eigene Anlagen bauen und lokale Projekte verwirklichen. Erneuerbare Energien müssen auf dezentraler Basis implementiert werden, das ist wichtig.
Über den Entwicklungsstand erneuerbarer Energien informieren Sie sich auch auf einer Informationsreise nach Deutschland. Was haben Sie geplant?
In erster Linie haben wir vor die Umweltmesse IFAT, die Anfang Mai 2012 in München stattfindet zu besuchen. Außerdem stehen die Besichtigung eines Hybridkraftwerks zur Gewinnung von Wasserstoff aus Windenergie in der Nähe von Berlin und ein Besuch im Bioenergiedorf Ascha in Bayern auf dem Plan. Über das Bioenergiedorf habe ich übrigens zum ersten Mal in „DE - Magazin Deutschland“ gelesen. Wir haben diese Reise für eine Besichtigungsgruppe aus Ingenieuren und anderen Fachleuten von großen japanischen Firmen organisiert.
Wie kann Deutschland Japan beim Ausbau der regenerativen Energieversorgung unterstützen?
Deutschland hat diesbezüglich eine große Vorbildfunktion. Das Land hat auf diesem Gebiet enorme Forschritte erzielt und liegt weltweit ganz vorne. Die Umwelttechnologien und auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind vorbildlich. In Japan herrscht ein sehr großer Bedarf an solchem Fachwissen. Wir können sehr viel von den deutschen Erfahrungen lernen.
Japan verfügt auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien bereits über vielversprechende Forschungsprojekte. Welche sind davon die wichtigsten?
Ein gutes Beispiel ist das „Smart Communities“-Projekt in Kashiwa bei Tokio. Dort werden integrative Energielösungen mit Smart-Meter in den Haushalten und Elektroautos als Speicher für Solarstrom erprobt. Ebenfalls interessant sind die Projekte der Universität Kyushu. Sie betreibt Forschung für die Entwicklung von Offshore-Windkraftanlagen auf schwimmenden Plattformen. ▪
Interview: Kurt de Swaaf