Stadtplanung: Renaissance der historischen Altstädte
Abreißen oder Rekonstruieren? Deutsche Städte gaben lange der Abrissbirne den Vorzug. Doch das hat sich geändert.
Viel Beton und harte Kanten: Das Erscheinungsbild vieler Innenstädte spiegelt die langjährige Strategie im Umgang mit zerstörten oder maroden historischen Bauten in Deutschland. Nicht immer gingen Stadtentwicklung und Denkmalschutz Hand in Hand. Warum die Zeit jetzt reif ist für eine Rückbesinnung auf das Kulturerbe.
So modern wie möglich
Es gibt in Deutschland seit Ende des Krieges große Vorbehalte gegen das „Volkstümliche“. Vergiftet von der Ideologie der Nazis ist dieser Begriff zum Feindbild der Aufklärung geworden. Das äußert sich besonders drastisch in der Architektur. Die deutsche Nachkriegsmoderne, die den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes prägte, war nicht nur geleitet von technisch-praktischer Vernunft, sondern gleichzeitig ein kultureller Abwehrkampf gegen die urbane Erscheinung des alten deutschen Staates, der so unfassbares Leid über die Welt gebracht hatte.
Rekonstruktion kriegszerstörter Stadtviertel oder Symbolbauten blieb ein Tabu, selbst als die leidtragenden Nachbarländer des Kriegs ihre verlorene Baukultur wiederherstellten und die alten Innenstädte auf dem historischen Grundriss so gut es ging im alten Stil neu errichteten. In Deutschland nutzten Stadtplaner die Tabula rasa des Bombenkriegs dazu, um möglichst ultramodern zu sein.
Neue Sehnsucht nach lokaler Identität
Dieser Hintergrund hilft zu verstehen, warum über ein halbes Jahrhundert vergehen musste, bis eine neue Generation von Stadtplanern sich daran wagt, in alten Stilen zu bauen. Nicht zuletzt der Siegeszug der reduzierten Formensprache der modernen Architektur und ihr tristes Resultat von Städten, die sich weltweit immer mehr ähneln, hat die Sehnsucht nach Vielfalt und lokaler Identität gestärkt.
Berliner Stadtschloss und Humboldt-Forum
Zwar wird der Neubau des Berliner Stadtschlosses mit alter Hülle und neuen Innereien für das Ausstellungshaus Humboldt-Forum – in Deutschland noch immer wie ein Tabubruch diskutiert. Aber andernorts treffen Rekonstruktionsprojekte auf große Zustimmung. Viele Planer erkennen die Qualitäten des historischen Städtebaus mit kleinteiliger Bebauung, belebten Erdgeschosszonen und der abwechslungsreichen Hausgestalt als einzige Medizin gegen den renditegetriebenen Neubau monotoner Großstrukturen.
Frankfurt, Lübeck und Dresden lassen Altes neu entstehen
Frankfurt am Main hat gerade seine Altstadt in diesem Geiste neu entstehen lassen. Lübeck baut sein historisches Gründungsviertel im Zentrum in der Struktur der mittelalterlichen Stadt wieder auf. Und Dresden ließ die Frauenkirche aus Ruinen auferstehen. Das Grundprinzip: Schlüsselbauten werden möglichst original reproduziert. Die Lücken dazwischen füllen moderne Interpretationen alter Stile.
Aus dem Rechteckzwang befreit
Der im Heimatland des Bauhaus noch immer tief verwurzelte Rechteckzwang findet in diesen Rekonstruktionsprojekten zurück zum Spielerischen. Plötzlich besitzen die einzelnen Adressen wieder eine Persönlichkeit, stehen unverwechselbar im Stadtgefüge. In der Moderne verpönte Elemente wie Erker, Satteldächer, Fachwerk, Arkaden oder Fensterläden werden als belebendes Element des Stadtbilds neu entdeckt.
Hundert Jahre hat die Theorie der Moderne erfolgreich behauptet, sie sei die Architektur, die allen Menschen die gleichen Chancen gebe. Doch die Sehnsucht nach dem Ausdruck von Heimat und persönlicher Verbundenheit ist geblieben. Die neu errichteten Altstädte in Frankfurt oder Dresden ziehen Menschen aus aller Welt an, die bestimmt niemals einen Fuß in ein modernes Neubaugebiet setzen würden, das so langweilig aussieht wie zu Hause. Sie sind keine Besucher eines „Disneylands“, wie moderne Architekten diese Viertel schmähen. Die Rückbesinnung auf die Qualitäten der vormodernen Stadt ist vielmehr ein Beweis für die Kompetenz der Bürger und Besucher, die erkennen, was eine lebendige und vielfältige Stadt ausmacht.