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„Berlin ist eine Galerie“

Yasha Young, die Künstlerische Leiterin des neuen Museums für Urban Contemporary Art, verändert die Straßen von Berlin.

deutschland.de, 08.09.2017
Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art in Berlin
Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art in Berlin © GRAFT

Frau Young, am 16. September 2017 eröffnete in Berlin das Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art. Ist die „Protestkunst“ damit im Establishment angekommen?

Die „Protestkunst“, wie sie es nennen, ist schon lange in Galerien und Museen angekommen. Urban Nation ist nicht die erste Institution, die Urban Art in geschlossenen Räumen zeigt. Auch die Künstler sind nicht ausschließlich daran interessiert, ihre Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen, sondern erschaffen schon seit Jahren Kunstwerke für den „Innenraum“ und stellen in Galerien aus. Wir möchten mit dem Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art einen ganzheitlichen musealen Ansatz aus Sammeln, Bewahren, Forschen sowie die Realisierung von Kunst in anderen Stadtteilen abbilden. Mit dem Urban Nation Museum bekommt Urban Art ein Gedächtnis – und das ist unser Zeichen: die Wertschätzung und Archivierung einer noch sehr jungen Kunstform.

Seit 2013 laden Sie internationale Künstler nach Berlin ein, um Fassaden, Hauswände und Schaufenster zu gestalten. Wird Berlin zur Galerie? Und was ist auf den Straßen von Berlin zu sehen?

Ja, Berlin ist definitiv eine Galerie. Bereits über 25 One-Wall-Projekte hat Urban Nation in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern realisiert. Zuletzt zum Beispiel mit Ricky Lee Gordon in der Landsberger Allee 121, mit Nicholás Sanchez aka Alfafa in der Mommsenstraße 40 und mit Deih XLF in der Schwedter Straße 34. Die Fassade des Urban Nation Museums wird auch immer wieder neu gestaltet. Damit findet die Kunst, die ihren Ursprung auf der Straße hat, auch weiterhin außerhalb des Museums im öffentlichen Raum statt und bleibt lebendig. Aber auch abseits von Urban Nation Projekten gibt es viele tolle Kunstwerke in der Stadt zu sehen.

Berlin steht in der internationalen Szene für Innovation und Kreativität.
Yasha Young, Kuratorin von Urban Nation

Sie haben mit zahlreichen internationalen Künstlern zusammengearbeitet. Welche Anziehungskraft hat Berlin? Und wie ist Berlin in der internationalen Urban-Art-Szene positioniert?

Berlin hat zur Wendezeit mit seinen vielen Freiflächen und leerstehenden Gebäuden eine Sogwirkung auf internationale Street-Art-Künstler ausgeübt und ist heute einer der weltweit relevanten Orte für eine Kunstszene geworden, die jenseits von Galerien und Museen im öffentlichen Raum beheimatet ist. Urban Art ist also Teil der Stadtkultur und typisch für das Lebensgefühl, das die Berliner lieben und das Besucher anzieht. Berlin steht in der internationalen Szene für Innovation, Kreativität und Möglichkeiten als Künstler zu „leben“. Durch die Vielzahl der hier lebenden und arbeitenden Künstler gibt es eine sehr aktive internationale Community.

Die Künstler gelten als Einzelgänger, auch weil sie zum Teil illegal und anonym arbeiten. Urban Nation will die Szene zusammenbringen und vernetzen. Wie gelingt das?

Ich würde nicht sagen, dass die Künstler als Einzelgänger gelten. So wie alle Künstler in jeder Sparte müssen sie sich in der Szene vernetzen, um Interessen zu vertreten. Es gibt genug Künstlerkollektive, die aus mehreren Künstlern bestehen, zum Beispiel die XLF Crew, Duos wie Herakut oder wie die 1Up Crew, mit mehr als 30 Mitgliedern. Ich selbst bin als Kuratorin seit knapp 20 Jahren in der Szene unterwegs. Da bin ich natürlich mit vielen Künstlern gut vernetzt.

Sehen Sie die Eröffnung des Museums eher als Abschluss oder als Neustart Ihrer Arbeit?

Mit der Eröffnung wird das Potenzial, Urban Contemporary Art zu fördern, vergrößert. Die letzten vier Jahre waren unglaublich harte Vorbereitungen für einen Startschuss. Mit dem Museum kann man für die Urban Contemporary Art in Berlin ein weltweit relevantes Zeichen setzten, das jetzt ausgebaut werden muss.

Was war bisher ihr Lieblingsprojekt und was würden Sie gerne noch machen?

Ich würde gerne mit Hochschulen neue Lehrgänge erarbeiten, das Residenz-Programm ab 2018 aufbauen und das Netzwerk erweitern. Auch die Archivierung der Historie will ich mit meinem Team vorantreiben und mit Häusern wie dem Humboldt Forum zusammenarbeiten. Ziele sind: Traditionelles mit Neuem verbinden, gemeinsam von und miteinander lernen und Museen wieder als Stätten der Bildung für alle zugänglich machen.

Wichtig sind dabei die Integration der Menschen in ihre Geschichte und die Teilhabe, das Verständnis sowie Förderung der jungen Positionen. Es gilt bei allen Aktivitäten weltweit zu denken, in einer Stadt, die im 21. Jahrhundert international gelebt wird.

Interview: Martin Orth

© www.deutschland.de