„Unsere eigenen Geschichten erzählen“
Die Filmwissenschaftlerin Ezinne Ezepue setzt sich für ein differenziertes Bild von Afrika ein und erforscht in Köln, wie Märchen dabei helfen können.
Die nigerianische Filmwissenschaftlerin Ezinne Ezepue arbeitet seit August 2022 mit einem zweijährigen Georg Forster-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für Forschende aus Entwicklungs- und Schwellenländern an der Internationalen Filmschule Köln. Dort untersucht sie, wie Volksmärchen afrikanische Filme bereichern können. Sie spricht darüber, welches Potenzial in Märchen steckt, was sie inspiriert und wie sie in Deutschland arbeitet.
Frau Dr. Ezepue, Sie wollen mit Ihrer Forschung zu einem differenzierteren Afrikabild auf der ganzen Welt beitragen. Was können Filme dafür tun?
Mich stört, dass das Bild von Afrika meist negativ und voller Vorurteile ist. Es ist fast immer das Gleiche: Hunger, Armut, Krieg, ethnische Rivalitäten, religiöse Kämpfe. Diese Dinge sind wahr. Aber die Darstellung ist unausgewogen. Ich verzeihe den Medien, für sie sind schlechte Nachrichten gute Nachrichten. Aber auch viele Filme, die in Afrika spielen, wie etwa der Disney-Film „Queen of Katwe“, zeigen nur Negatives. Ist das wirklich alles, was die Kamera sieht? Wir sollten das Positive, das es auch gibt, nicht verleugnen. Ich frage mich: Wie können wir Afrikanerinnen und Afrikaner unsere eigenen Geschichten erzählen? Wie sprechen wir selbst über Negatives? Welche Aspekte haben wir noch und wie bringen wir andere dazu, sie zu sehen?
Weshalb erkennen Sie in afrikanischen Volksmärchen ein Potenzial?
Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, meine Großeltern haben uns immer Geschichten erzählt. Doch immer mehr Menschen ziehen in die Städte und haben nicht mehr die Zeit, am Feuer zu sitzen und zuzuhören. Wir müssen überlegen, wie wir diese Geschichten bewahren können. Ich unterrichte an der University of Nigeria und habe die Initiative „Africa on Script“ gegründet, bei der Studierende Geschichten über Afrika schreiben. Mithilfe von Märchen können wir ihnen auch die Fähigkeit vermitteln, zu erzählen. In diesen Geschichten steckt viel Inspirierendes. Die nigerianische Filmindustrie, sie ist die größte in Afrika, wächst und braucht viele Erzählungen. Und das Wichtigste: Wir übernehmen dadurch Verantwortung für unsere Narrative.
Können Sie afrikanische Filme empfehlen, die bereits mit Erzählungen wie Märchen arbeiten?
Es werden gerade immer mehr. Netflix und die UNESCO etwa haben 2021 einen Kurzfilmwettbewerb gestartet. Die daraus entstandene Anthologie „African Folktales Reimagined“ hat mir sehr gefallen. Der nigerianische Film „Mami Wata“ von C. J. Obasi, der 2023 auf dem Sundance Festival gezeigt wurde, ist aktuell sehr angesagt. Mami Wata ist eine Wassergöttin. Man könnte ihre Geschichte als Volksmärchen sehen, aber sie ist eher ein Teil der Spiritualität in mehreren Ländern Westafrikas. Mir gefällt es, wenn Filmemacher nicht einfach etwas erfinden, sondern sich von bereits existierenden Erzählungen inspirieren lassen, die die Menschen in Afrika ausmachen. Seien es Geschichten aus dem fiktionalen Bereich der Volksmärchen, Legenden und der Mythologie oder aus dem realen Leben. Dadurch erfährt die Welt mehr über uns.
Inwiefern hilft die Zeit in Deutschland Ihnen bei Ihrer Arbeit?
Ich hatte vor dem Stipendium nie wirklich über Deutschland nachgedacht. Doch weil ich bereits für meine Masterarbeit und meine Promotion in Großbritannien war, dachte ich, es sei Zeit für einen Wechsel. Das Stipendium passt sehr gut, es fördert Projekte, die für die Entwicklung der Länder der Stipendiaten relevant sind. Mein Gastprofessor in Köln, Joachim Friedmann, ist Experte für serielles Erzählen. Sein Kurs stellt die Frage nach der sozialen Verantwortung von Filmemachern. Deutschland bietet mir die nötige Unterstützung und Inspiration.
Haben Sie ein Beispiel für einen Film, der einer sozialen Verantwortung nachkommt?
„The Boy Who Harnessed the Wind“ von Chiwetel Ejiofor über einen Jungen aus Malawi, der versucht, das Dürreproblem in seiner Gemeinde zu lösen. Er zeigt, dass man trotz allem, was man durchmacht, versuchen kann, etwas zu verändern. Der Film wurde allerdings mit Geld aus dem Westen finanziert. Und wie viele Jungen und Mädchen haben ihn tatsächlich gesehen? Ein Problem in Afrika ist die Distribution. Wir machen tolle Filme, aber wir bekommen sie nicht zu sehen.
Wie sieht Ihre Forschung in Deutschland aus?
Mein Projekt heißt „Reimagining African Folktales“, doch meine Ergebnisse können in jedem Teil der Welt angewendet werden, in dem Folklore existiert. Es ist eine Suche nach den Grundlagen des Storytellings. Ich habe über die Filmindustrie Nigerias promoviert. Zu dieser Zeit fand ich, dass unsere Filme keine Neugierde weckten, mehr über das Land zu erfahren. Die Filmbranche erlebte damals einen Aufschwung, aber es ist nötig, auch die Erzählweise zu überdenken. Mir wurde klar, dass ich etwas verändern kann. An der Universität bilde ich die Filmschaffenden von morgen aus. Ich möchte nun einen Baukasten für die Adaption von Volksmärchen in zeitgenössischen Filmen für meine Studierenden in Nigeria entwickeln. Ich würde meine Erkenntnisse gerne auch Drehbuchautorinnen und -autoren vorstellen. Wir müssen mehr tun, als nur zu unterhalten.
Können Sie sich vorstellen, selbst einmal einen Film zu drehen?
Ja, mein Interesse gilt Dokumentarfilmen oder Reality-Formaten. Ich möchte in Nigeria für meine Studierenden auch eine Serie auf dem Campus starten, damit sie üben und sich entwickeln können.