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Das Phänomen Haftbefehl: Warum seine Doku Millionen erreicht

Haftbefehl ist Multimillionär, Sprachgenie und Absturzfigur. Die Netflix-Doku über ihn wird zum globalen Hit. Warum?

Johannes_GöbelJohannes Göbel, 18.12.2025
Rapper Haftbefehl: Kontrovers diskutierte Kultfigur mit großer Strahlkraft
Rapper Haftbefehl: Kontrovers diskutierte Kultfigur mit großer Strahlkraft © dpa

Der Mann – zusammengekauert, den Kapuzenpulli tief im Gesicht – sieht fertig aus. Das Gesicht ist schweißnass. Er hört sich auch nicht gut an, die Stimme so rau, als würde sie gleich wegbrechen. Auf seinem Handy sucht er einen Song: „In meinem Garten“ des deutschen Liedermachers Reinhard Mey. Eine sanfte Ballade, die in dieser Doku über Exzesse und Erfolge des Rappers Haftbefehl, etwas seltsam anmutet.

Doch während die Gitarrentöne und Meys Text über ein zerbrechliches Idyll aus Haftbefehls Handy klingen, wird man berührt: Weil ein Rapper sich verletzlich zeigt. Als Künstler mit großer Liebe zur Musik. Ein Mensch, dem Absturz nah, der für einen Moment Halt in einem Lied aus dem Jahr 1970 findet.

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Die Netflix-Doku „Babo – die Haftbefehl Story“ ist ein außerordentlicher Erfolg: Allein in der ersten Woche nach ihrer Veröffentlichung erreichte sie bereits weit über vier Millionen Zuschauer, schoss in Deutschland auf Platz eins aller Netflix-Formate und weltweit auf Rang vier der nicht englischsprachigen Filme des Streaming-Anbieters. Dabei verbindet die Doku die extreme Strahlkraft des Künstlers mit dem Blick auf sein Elend und seine Abgründe. Warum wollen so viele Menschen dem Rapper Haftbefehl beim Absturz zusehen?

Haftbefehl ist ein Held der Straße

Der 40 Jahre alte Haftbefehl ist der größte Star des deutschen Raps. Der in Offenbach am Main geborene Musiker heißt bürgerlich Aykut Anhan. Seine Eltern stammen aus der türkischen Provinz Tunceli und haben kurdisch-zazaische Wurzeln. Rap begeistert auch in Deutschland ein großes Publikum als authentische Kunstform der Straße mit starker Sprache, die die oft harte soziale Realität spiegelt. Haftbefehl hat schwere Schicksalsschläge hinter sich; die Schule brach er ab, dealte mit Drogen, floh vor einer Haftstrafe in die Türkei, eröffnete nach seiner Rückkehr ein Wettbüro. „Street Credibility“, die im Rap so wichtige Glaubwürdigkeit, kann Haftbefehl für sich in Anspruch nehmen.

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Haftbefehls Kunst ist wertvolles Kulturgut

Man könnte Haftbefehl als Sprachgenie bezeichnen: Er mixt Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch und Romanes. „Ghetto-Esperanto“ wurde seine Sprache aufgrund ihrer eigenen Qualität auch schon genannt. In Bildungs- und Kulturdebatten wird inzwischen diskutiert, seine Texte als Unterrichtsmaterial zu nutzen. Als Autor, der soziale Realität verdichtet und zugänglich macht, erreicht Haftbefehl damit mehr als mancher Literaturklassiker. Fest steht schon jetzt: Seine migrantisch geprägte Sprache setzt einen neuen Standard und prägt das Deutsch einer Generation.

Haftbefehl erreicht sein Publikum über kulturelle Grenzen hinweg

Deutsche, Türken, die Rap-Fangemeinde und ein breites Pop-Publikum, Menschen vom Rand der Gesellschaft und etablierte Vertreter der Kulturszene: Männer und Frauen unterschiedlichster Herkunft können sich auf Haftbefehl einigen. Er passt in kein kulturelles Raster, ist deutscher Dichter, migrantisch geprägt, obszöner Reimer und sprachmächtiger Poet. Haftbefehl wirkt unberechenbar und fasziniert auch deshalb ein Massenpublikum. Kurz nach dem Start seiner Doku veröffentlichte er seinen ersten rein türkischen Track: „Dünya Garip“ (deutsch: „Seltsame Welt“). Auch hier zeigen die Reaktionen, wie unterschiedlich Haftbefehl die Menschen erreicht: In der türkischen Community in Deutschland wird der Track gefeiert und in der Türkei erreicht der Rapper so auch neue Fans. Andere fragen kritisch, warum er sich aufgrund seiner Wurzeln nicht für einen kurdischen Text entschieden habe. 

Die Haftbefehl-Doku ist Hochglanzfernsehen mit Blick auf eine heftige Realität

Haftbefehl gilt dank seiner Einnahmen durch Musik, aber auch aufgrund seiner Investments in eigene Mode-, Eistee- und Shisha-Marken als Multimillionär. Ein Selfmademan mit steilem Aufstieg. Schon das ist guter TV-Stoff. Aber er kämpft auch mit seiner Kokain-Sucht, mit Ehe-Problemen und dem Trauma, dass er seinen Vater nach einem ersten Suizidversuch rettete, bevor sich dieser schließlich doch das Leben nahm. Der Film dokumentiert das Elend im Ruhm ungefiltert.

Die Kritik macht die Doku noch erfolgreicher

Für das Rap-Business nicht ungewöhnlich: Haftbefehls Texte sind oft frauenfeindlich und gewaltverherrlichend. Auch Antisemitismus wurde ihm vorgeworfen, wogegen sich Haftbefehl entschieden wehrte. In der Netflix-Doku rückt zudem seine Drogensucht ins Zentrum. Während der Dreharbeiten schwebte Haftbefehl zeitweise in Lebensgefahr. Kritiker werfen der Produktion vor, seinen Absturz nicht nur zu dokumentieren, sondern auszustellen. Der Film, so der Vorwurf, überschreite die Grenze zur Elendsdoku und tauge kaum als Vorbild.

Der Ko-Autor der Dokumentation, Journalist Juan Moreno, widerspricht dieser Lesart. Es sei ein Film über Drogenmissbrauch, sagt er, und solle auch abschrecken. Haftbefehl habe vor der Veröffentlichung keine einzige Szene ändern wollen. Ein Star, der sich ungeschönt zeigt, mit allen fatalen Folgen.

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