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Ein Abbild der 
neuen Verhältnisse

Der deutsche Kurzfilm in Zeiten der Globalisierung – ein Interview mit Lars Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen

23.09.2015

Was macht den Kurzfilm 2015 aus?

Auffallend ist, dass die klassischen Genreaufteilungen nicht mehr funktionieren. Ob man es mit einem Dokumentar- oder einem fiktionalen Film zu tun hat, lässt sich oft gar nicht definieren. Eine weitere relativ neue Entwicklung ist, dass immer mehr Menschen aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um hier Filme zu machen. Das hat insbesondere mit der Entwicklung Berlins zu tun. Bei den Kurzfilmtagen haben wir im deutschen Wettbewerb inzwischen ein Drittel Filmemacher, die kein Deutsch sprechen. Ich finde das sehr produktiv – der deutsche Film kann von diesem internationalen Interesse sehr profitieren.

Kommen diese Filmemacher aus bestimmten Regionen?

Nein, sie kommen aus der ganzen Welt. Anders als früher sind es meistens keine Studenten deutscher Filmhochschulen. Diese Filmemacher sind häufig schon mit dem Studium fertig und haben sich entschieden, in Deutschland zu leben. Die Distanzen insbesondere im europäischen Rahmen haben eindeutig ihren Schwellencharakter verloren.

Wie verändert das den Film?

Das fängt schon bei den Sprachfassungen an: Die Künstler produzieren ihre Filme ganz selbstverständlich in englischer Sprache. Es geht damit weiter, dass in diesen Filmen natürlich auch ausländische Schauspieler auftreten. Da findet eine Abbildung der neuen, globalisierten Verhältnisse statt. Außerdem gibt es einen „Import“ von multikulturellen Elementen, der zu ganz eigenwilligen, hybriden Filmformen führt. Das macht es für uns als Festivalorganisatoren manchmal schwierig, Arbeiten überhaupt noch klar einem deutschen oder einem internationalen Wettbewerb zuzuordnen. Man merkt, dass man sich selbst infrage stellen muss. Inwieweit kann ein „deutscher Wettbewerb“ eigentlich noch deutsches Kino repräsentieren?

Welchen Einfluss haben die neuen Medien auf die Filme?

Die Bildsprache ist zunehmend für kleinere Medien gedacht und nicht mehr unbedingt für eine kollektive Situation im ­Kino. Wir alle sehen Filme ja nicht mehr nur im Fernsehen, sondern können sie mit den mobilen Endgeräten überall anschauen. Was da passiert, ist eine Art Privatisierung der Filmwahrnehmung.

Dennoch entstehen in Deutschland immer mehr Festivals. Was ist ihre Bedeutung?

Es ist tatsächlich erstaunlich, dass es immer weniger kommerzielle Auswertungsmöglichkeiten für Filme gibt – aber gleichzeitig immer mehr Filme. Diese Filme wollen irgendwo gezeigt werden. Die Konjunktur von Festivals ist also auch Ausdruck einer gewissen Notwendigkeit: für die Filmemacher, ihre Produktionen zu zeigen, aber ebenso für ein Publikum, das sich nicht zufriedengibt mit dem, was im Fernsehen, im Kino und im Internet zu sehen ist. Es gibt eine gesellschaftliche Nachfrage nach solchen Orten. Das müssen nicht unbedingt Kinos sein. Inzwischen finden Festivals auch in Museen oder anderswo statt. Wir erleben einen Prozess, in dem Menschen, die Filme machen, und jene, die Filme sehen wollen, neu zusammengeführt werden.

Helen Sibum