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Gemeinsam für Medienvielfalt

Als Reaktion auf die politisch schwierige Situation in der Türkei steigt die Zahl der deutsch-türkischen Medienkooperationen.

Karen Krüger, 07.06.2017
© dpa - Journalism

Als am 3. Mai 2016 der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen wurde, machte die deutsche „tageszeitung“ (taz) mit 16 Seiten in türkischer und deutscher Sprache auf die bedrohte Pressefreiheit in der Türkei aufmerksam. Entstanden ist die taz-Sonderausgabe in Zusammenarbeit mit Journalisten der türkischen Zeitungen „Agos“ und „Birgün“, die dafür eine Woche lang zu Gast in der Berliner Redaktion waren. Damals ahnte niemand, dass das Modell noch Schule machen würde.

Wenige Wochen später erlebte die Türkei am 15. Juli 2016 einen Putschversuch. Er scheiterte, doch seitdem hat sich die Situation der Medien dramatisch verschlechtert. Etwa 160 kritische türkische Medien sind geschlossen worden; 700 Presseausweise wurden annulliert. Dutzenden Journalisten wird mit der Begründung, sie hätten Verbindungen zu den Putschisten oder gehörten einer Terrororganisation an, der Prozess gemacht. Über 160 Journalisten sind inhaftiert – unter ihnen auch die deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel und Meşale Tolu. Seitdem die Repressionen zunehmen, gibt es einige weitere Kooperationen deutscher Medien mit türkischen Journalisten. Die taz hat Anfang 2017 ihr zweisprachiges Webportal taz.gazete gestartet: Vor allem türkische Journalistinnen und Journalisten berichten aus der Türkei oder beschäftigen sich mit Themen, die an anderen Orten der Welt die türkische Community bewegen. Zugleich veröffentlichen in anderen deutschen Zeitungen bekannte türkische Journalisten, deren Artikel in ihrer Heimat nicht mehr gedruckt werden.

Prominente Kolumnen

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt Bülent Mumay, früher Online-Chef der Zeitung „Hürriyet“, seit dem Putschversuch eine wöchentlich erscheinende Kolumne. Sein „Brief aus Istanbul“ wird auf Deutsch und auf Türkisch online gestellt. Für die Wochenzeitung „Die Zeit“ ist Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, tätig. Seine Kolumne trägt den Titel „Meine Türkei“ und kann ebenfalls auf Deutsch und Türkisch im Internet gelesen werden. Der Journalist Yavuz Baydar, Mitbegründer der unabhängigen türkischen Medienplattform P24, verfasst seit dem Putschversuch ein auf Deutsch erscheinendes „Türkisches Tagebuch“ in der „Süddeutschen Zeitung“. Alle drei Journalisten leben mittlerweile im Exil.

Can Dündar, Özgürüz

Can Dündar hat zudem Anfang 2017 zusammen mit dem Berliner Recherchezentrum Correctiv das auf Türkisch und Deutsch erscheinende Onlinemagazin „Özgürüz“ („Wir sind frei“) gestartet. Das Magazin möchte den Menschen in der Türkei ungefilterte Nachrichten und investigative Berichte zukommen lassen. Auch der zunehmenden politischen Polarisierung unter Deutschtürken will „Özgürüz“ entgegenwirken. In der Türkei wurde der Zugang zur „Özgürüz“-Seite indes schon kurz nach dem Launch blockiert.

Crossmediales Online-Portal

Eine Publikationsplattform für türkische Autoren, die teilweise in ihrer Heimat nicht mehr arbeiten können, hat auch der Westdeutsche Rundfunk (WDR) eingerichtet: „Türkei unzensiert – Sansürsüz Türkiye“. Seit November 2016 wurden im Hörfunk und im Internet bereits Beiträge und Kommentare von Can Dündar, Bülent Mumay und von den Journalistinnen Gönül Kivilcim, Hatice Kamer und dem Journalisten Kürşat Akyol veröffentlicht. Es sind Berichte darüber, wie sich der Alltag in der Türkei immer weiter verändert, wie Freiheiten beschnitten und Bürgerrechte verletzt werden. Dazu betreibt das Kulturradio „COSMO“, das frühere „Funkhaus Europa“, ein crossmediales Online-Portal: Es bündelt deutsche, türkische und englische Texte – von türkischen, zum Teil im Exil lebenden Journalisten, Wissenschaftlern und Intellektuellen.

Auch im Fernsehen gibt es eine deutsch-türkische Kooperation. Mitte März 2017 ist der Exil-Sender „Artı TV“ auf Sendung gegangen. Die Redaktion hat ihren Sitz in Köln und zählt etwa 20 Journalisten, die meisten von ihnen sind Türken. Unterstützt werden sie von einem Dutzend freier Korrespondenten aus Ankara, Istanbul und Diyarbakır sowie von regierungskritischen Akademikern und Abgeordneten, viele aus dem linkspolitischen und pro-kurdischen Milieu. Das tägliche Programm umfasst sechs bis acht Stunden Sendezeit, in der neben Nachrichten vor allem Interviews und Debatten ausgestrahlt werden. Artı TV hat zu Beginn eine finanzielle Starthilfe von der niederländischen Stiftung Artı Media erhalten, die von türkischen Unternehmern finanziert wird.

Austausch ermöglichen

Um Austausch zwischen deutschen und türkischen Journalisten bemüht sich das Autorenkollektiv „60pages“. Im März 2017 hat es in Istanbul in Kooperation mit der türkischen Kulturstiftung Anadolu Kültür einen Workshop organisiert. Vielen türkischen Journalisten fehlt mittlerweile eine Plattform, um ihre Berichte einem breiten Publikum zugänglich machen zu können. Einige versuchen deshalb ihre Gedanken und Beobachtungen in Form von kurzen Büchern aufzuschreiben. Wie solche „Longreads“ aussehen könnten, darüber wurde bei dem Treffen in Istanbul diskutiert. Mit dabei war auch der 25-jährige türkische Journalist Engin Önder. Er hatte schon 2011 mit ein paar Freunden den Twitter-Nachrichtenkanal „140Journos“ gegründet. Während der Gezi-Proteste 2013 wurde er zur  wichtigsten Nachrichtenquelle für Aktivisten und erreicht mittlerweile hunderttausende Menschen in der Türkei. Die mehr als 300 ehrenamtlichen Mitarbeiter berichten aus allen Regionen der Türkei und sorgen dafür, dass es alternative Sichtweisen zu den dominierenden Veröffentlichungen der regierungsnahen Medien gibt.

Internationale Journalisten-Programme (IJP)

Wie tiefgreifend die politischen Entwicklungen in der Türkei sind, lässt sich auch an der Arbeit der Internationalen Journalisten-Programme (IJP) ablesen. 2017 werden keine deutschen Journalisten mit einem Stipendium zwei Monate lang zu Gast in einer Redaktion in der Türkei sein – aufgrund der Sicherheitslage. Damit dennoch ein Austausch mit türkischen Kollegen möglich ist, sollen deutsch-türkische Journalistentandems in Deutschland oder anderen EU-Ländern gebildet werden.

„Für freien Journalismus“: Artikel über die Arbeit von „Reporter ohne Grenzen“

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