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„Wir Israelis sind nichts besonderes“

Der israelische Regisseur Dror Zahavi studierte in der DDR und lebt heute in Berlin. Ein Gespräch über Deutschland und den „geteilten Blick“.

22.06.2015
© dpa/Marc Müller - Dror Zahavi

Sie sind 1982 zum Filmstudium in die DDR gegangen – eine ungewöhnliche Entscheidung für einen Israeli. Hatte es damit zu tun, dass Ihr Vater in der israelischen kommunistischen Partei war?

Er hat mir ermöglicht, ins Ausland zu gehen und ihm war die Wahl eines sozialistischen Landes sehr wichtig. Die Entscheidung für die DDR kam von mir, eher auf Grund der Nähe zum Westen. Ich hatte gute Bekannte in Westberlin. Zudem meinte ich, dass mir Deutsch mehr nutzen würde als Tschechisch oder Polnisch. Über die Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg wusste ich nicht viel.

Empfanden Sie die DDR als deutschen Staat? Wie fühlten Sie sich dort?

Für mich als Israeli bedeutete Deutschland im Grunde immer Westdeutschland. Die DDR sah sich ja als Land der Opfer, nicht der Täter. Insofern war die DDR für mich nicht typisch deutsch, aber es war sehr ambivalent. Während die DDR-Führung antifaschistisch war, spürte man in der Bevölkerung schon die Vergangenheit des Nationalsozialismus. Ich habe mich bei älteren Leuten oft gefragt, was sie wohl damals gemacht hatten.

Waren Sie Deutschland gegenüber befangen, bevor Sie dort hin zogen?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin mit diesen Dämonen aufgewachsen. Bei mir in der Straße wohnte eine Auschwitz-Überlebende, die sich eines Tages in ihrer Wohnung selbst verbrannt hat. Da war ich fünf Jahre alt. Das werde ich nie vergessen. Aber es war auch ein wichtiger Antrieb für mich, dem Dämon ins Gesicht zu schauen. Das Verhältnis zu Deutschland war für mich immer in Bewegung, ein dynamischer Prozess.

1991, kurz nach der Wende, zogen Sie endgültig nach Deutschland. Warum?

Das hatte zunächst praktische Gründe. Damals wurden nur wenige Filme in Israel produziert, es gab kaum Arbeit für einen Regisseur. Dann kam die Wende in Deutschland und alles öffnete sich dort. So beschloss ich, wieder hinzugehen.

Haben Sie im wiedervereinigten Deutschland je Antisemitismus erlebt?

Überhaupt nicht. Ich habe übrigens viel mehr Angst vor einer Bevorzugung als Israeli. Wenn ich sage, dass ich aus Israel komme, werde ich als Jude sofort mit Samthandschuhen angefasst. Die ganze deutsche Politik funktioniert so. Wenn die Stimmung kippt, könnte das schnell ins Gegenteil umschlagen. Menschen, die andere wegen ihrer Herkunft bevorzugen, sind leider auch in der Lage, diese Leute zu diskriminieren. Wir sind nichts Besonderes, wir sind kein auserwähltes Volk. Ich wünsche mir, dass man Israel als ganz normales Land in der Welt sieht, so wie Italien oder Schweden. Man kann sagen, dass es in diesen Ländern gerade eine schlechte Regierung gibt und dann vielleicht wieder eine gute. Genauso sollte es mit Israel sein.

Sie sind im deutschen Fernsehen ein Spezialist geworden für große zeitgeschichtliche Stoffe. Sie drehten „Die Luftbrücke“, „München 72“ und „Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki“. Wie sehen Sie das selbst, dass Sie den Deutschen ihre Geschichten erzählen?

Ich hoffe, dass man mir diese Geschichten nicht wegen meiner Herkunft, sondern wegen meiner Qualitäten als Regisseur anbietet. Was meine Filme vielleicht besonders macht, ist der geteilte Blick, die zerrissene Seele. Ich weiß, dass bei meiner Herangehensweise immer zwei Herzen in einer Brust schlagen. Bei einem Film wie „Die Luftbrücke“ empfinde ich natürlich Mitleid mit den Menschen, aber etwas hält mich auf Distanz und erlaubt mir als Israeli eine nüchterne Betrachtung.

Immer mehr junge Israelis zieht es nach Berlin. Meinen Sie, dass für sie die Geschichte noch eine Bedeutung hat?

Das muss man sehr differenziert sehen. Sie kommen, ohne die Vergangenheit und ohne ihre Herkunft einen Augenblick zu vergessen. Es sind vor allem Israelis aus Tel Aviv, also liberale junge Leute, die mit der Freiheit in Berlin viel anfangen können. Berlin ist schon so etwas wie Klein-Tel-Aviv geworden. Aber nein, sie haben nichts vergessen. Sie sehen die Stolpersteine auf der Straße, sie kennen die Geschichte und reden viel darüber.

Interview: Knut Elstermann