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Zwei starke Frauen

Margarethe von Trotta und Barbara Sukowa betreiben auf ihre Weise Geschichtsschreibung – mit Filmen über Frauen

Barbara Schweizerhof, 14.03.2013
Matt Carr/Getty Images - Sukowa, von Trotta
Matt Carr/Getty Images - Sukowa, von Trotta © Matt Carr/Getty Images - Sukowa, von Trotta

Man muss es vielleicht mit dem sprichwörtlichen Wermutstropfen nehmen – das Lob, das Frauen bekommen, wenn sie Filme über Frauen machen. 
Zusammen haben die Regisseurin Margarethe von Trotta und die Schauspielerin Barbara Sukowa über die Jahrzehnte eine im Grunde einzigartige Reihe filmischer Porträts von starken Frauenpersönlichkeiten erschaffen. Drei ragen besonders heraus: „Rosa Luxemburg“ (1986), ein Film über die Ikone der Arbeiter- und Friedensbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ (2009), über die einflussreiche Nonne und Universalgelehrte des Mittelalters, und nun „Hannah Arendt“ (2012), über die jüdische deutsch-amerikanische Philosophin, die mit ihrer Schrift zur „Banalität des Bösen“ eine der wesentlichen Denkfiguren des 20. Jahrhunderts prägte.

Einerseits kann man nicht genug betonen, dass es sich dabei um Filme von Frauen über Frauen handelt, denn so etwas stellt noch immer eher die Ausnahme dar. Andererseits aber birgt dieses „Frauenetikett“ stets die Gefahr in sich, das Große und Einzigartige dieser Filme wieder klein zu machen, weil es sie in eine Nische verweist. Ganz so, als ob diese Filme allenfalls für Frauen interessant sein könnten. Dabei besteht die Kunst der Regisseurin Margarethe von Trotta gerade darin, „Frauenfilme“ zu machen, die den Widersinn solcher Kategorien aufzeigen. Man kann es auch anders sagen: Auch wer sich nicht für Feminismus interessiert, sondern „nur“ für deutsches Kino und deutsche Geschichte, kommt um von Trotta und Sukowa einfach nicht herum.

„Das Private ist politisch“ – dieses Leitmotiv der Frauenbewegung zieht sich als Erzählmotto auf ganz eigene Weise durch die Filme von Trottas. Angefangen von ihrem ersten Spielfilm aus dem Jahr 1977, „Das zweite Erwachen der Christa Klages“, in dem eine Frau eine Bank überfällt, um eine Kindertagesstätte zu retten, bis zu „Hannah Arendt“. Das Private ist politisch – darunter versteht die Regisseurin aber weit mehr, als etwa eine berühmte Philosophin am häuslichen Herd zu zeigen. So beschäftigt sich „Hannah Arendt“, in dem Barbara Sukowa in der Titelrolle spielt, mit einem verhältnismäßig kurzen Ausschnitt des Lebens der berühm­ten Philosophin – es geht um die Zeit Anfang der 1960er-Jahre, als Arendt nach Jerusalem fuhr, um über den Prozess gegen Adolf Eichmann, der für die Organisation des Holocaust und die Ermordung von Millionen Menschen mitverantwortlich war, zu berichten. Mit ihren Schriften, in denen sie Eichmann als unspektakulären „Hanswurst“ bezeichnete, in dem sie keine Inkarnation des Bösen, sondern nur Banalität sah, löste sie eine heftige Debatte aus. Der Film stellt in der Tat auch Arendts private Seite dar: Die in den 1930er-Jahren aus Eu­ropa in die USA Exilierte wird als treusorgende Ehefrau, als kochende Gastgeberin, als über Intimitäten scherzende Freundin und Beziehungsratschläge verteilende Mentorin gezeigt. Doch das Bemerkenswerte daran ist, dass sich in diesen privaten Szenen nicht die andere, die „frauliche“ Seite der ansonsten streng denkenden Philosophin offenbart, sondern dass diese typisch weiblichen Aspekte ein Kontinuum bilden. Manche mögen es als Widerspruch empfinden, dass eine weltbekannte Philosophin beim Knuddeln mit dem Ehegatten gezeigt wird. Für Arendt, so filmt es von Trotta, war damit keine Identitätskrise verbunden. Sie tat beides, Kochen und Denken, mit ein und derselben Geradlinigkeit, die an Sturheit und Rücksichtslosigkeit grenzen konnte.

Für Rosa Luxemburg mag das am Anfang des 20. Jahrhunderts noch ganz anders gewesen sein. „Rosa Luxemburg“ zeigte seine Titelheldin als starke Frau mit vielen Widersprüchen, als keineswegs ungebrochene Heroine, die sowohl gegen soziale als auch private Zwänge aufbegehrte, dabei aber persönliche Wünsche und gesellschaftliche Ziele nicht immer in Übereinstimmung bringen konnte. Der Film brachte von Trotta ein Filmband in Gold ein, Barbara Sukowa wurde sowohl in Cannes als auch beim Deutschen Filmpreis als beste Darstellerin geehrt. Begegnet waren sich die Regisseurin und die Schauspielerin schon einige Zeit davor. Für beide war der Weg zum Film mit dem Namen Rainer Werner Fassbinder verbunden. Von Trotta spielte Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre in einigen Fassbinder-Filmen mit, wechselte aber bald ins Regiefach, zunächst an der Seite ihres Mannes, des Regisseurs Volker Schlöndorff. Barbara Sukowa kam ein Jahrzehnt später zum dann schon nicht mehr ganz so „Neuen“ Deutschen Film; Fassbinder engagierte sie 1980 für „Berlin Alexanderplatz“.

Unter der Regie von Margarethe von Trotta spielte Sukowa das erste Mal bereits 1981, 
in „Die bleierne Zeit“, dem Film, der für 
von Trotta den internationalen Durchbruch bedeutete. Im Grunde verkörpert Sukowa auch hier schon eine ikonografische Gestalt der deutschen Geschichte: ihre Figur der Marianne, die ein empfindlicher Gerechtigkeitssinn dazu treibt, in den Untergrund und in den bewaffneten Kampf zu gehen, ist an die Geschichte der realen deutschen Terroristin Gudrun Ensslin angelehnt. Der Film brachte sowohl der Regisseurin als auch der Hauptdarstellerin zahlreiche Preise ein.

Ihre Lebenswege sind jedoch alles andere als parallel verlaufen. Margarethe von Trotta stand schon früh unter dem Zeichen des Nichtsesshaften: Sie kam im Krieg 1942 in Berlin zur Welt, als Tochter des Malers Alfred Roloff und einer dem baltischen Adel entstammenden Mutter. Nach Kriegsende verschlug es sie mit ihrer Mutter nach Düsseldorf, beide waren zunächst staatenlos. Als junge Frau sammelte von Trotta Erfahrungen in vielerlei Sparten, sie besuchte eine Handelsschule, lebte einige Zeit in Paris, nahm ein Kunststudium in Düsseldorf auf, wechselte bald für Romanistik und Germanistik nach München, um auch das wieder abzubrechen und auf die Schauspielschule zu gehen. Das Unstete ihrer Biografie verstetigt sich erst, als sie zum Neuen Deutschen Film kommt – und ihr stetes Lebensthema findet: Frauenporträts und -biografien. Es gibt nur wenige Regisseurinnen, die wie von Trotta wieder und wieder Frauen in den Mittelpunkt gestellt haben, ohne dabei im herkömmlichen Sinn „Frauenschicksale“ zu erzählen. Von Trottas Filme zeichnen sich dadurch aus, dass sie stets das Zusammenwirken von gesellschaftlichen Zwängen und persönlichen Bedürfnissen im Blick behalten. Es sind keine „Bewegungsfilme“, es geht immer um Individuen, um einzelne, eigensinnige, oft kantige Frauen.

Barbara Sukowa hat sich als ideale Besetzung solch schwieriger Frauenrollen bewährt. Die 1950 in Bremen Geborene bringt dabei schon in ihrem alterslosen Äußeren etwas mit, wovon die Filme profitieren – eine Eigenwilligkeit, die einen starken Charakter verrät. Sukowa, die zunächst am Theater bekannt wurde und ihren internationalen Durchbruch mit der Titelrolle in Rainer Werner Fassbinders „Lola“ (1981) erlebte, kann nämlich beides: eine so emblematische Gestalt der Männerfantasie verkörpern wie die ganz von ihrer sexuellen Ausstrahlung lebende Lola als auch eine ganz durch ihre Spiritualität wirkende Nonne wie Hildegard von Bingen und dazu eine ganz durch ihr Denken bestimmte Philosophin wie Hannah Arendt. Mit ihren Porträtfilmen betreiben Margarethe von Trotta und Barbara Sukowa auf ihre Weise Geschichtsschreibung, sind es doch alles Frauen, die mit Sturheit, Intelligenz und erwachsener Weiblichkeit auch ein wichtiges Stück deutsche Identität verkörpern. ▪