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Austausch mit den Mitteln der Musik

Junge türkische Musiker bereichern den Orchestercampus des Bonner Beethovenfestes 2013.

19.06.2013
Beethovenfest Bonn
© Beethovenfest Bonn

Über den Tellerrand zu schauen und den Horizont zu erweitern, das gehört zum Selbstverständnis des Beethovenfestes Bonn. „Beethoven war ein revolutionärer Komponist, der über Grenzen gegangen ist und über Grenzen hinaus gewirkt hat“, sagt die Intendantin Ilona Schmiel. Die Überwindung von Grenzen spielt auch beim Orchestercampus des Beethovenfestes eine große Rolle: Seit 2001 laden die Festival-Macher und die Deutsche Welle Jugendorchester aus aller Welt ein. Die jungen Musiker leben bei Bonner Familien, mit denen sie sich über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten austauschen können. Zum Abschluss geben sie ein Campus-Konzert, auf dessen Programm immer Musik von Beethoven und das Auftragswerk eines Komponisten des Gastlandes stehen.

Die Türkei ist 2013 zum zweiten Mal in Folge Partnerland des Orchestercampus: Unter der Leitung von Professor Ramiz Malik Aslanov gastiert das Istanbul University State Conservatory Symphony Orchestra im September und Oktober in Berlin und Bonn. Den Kompositionsauftrag für das Bonner Konzert am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, erhielt die Komponistin Zeynep Gedizlioğlu. Schirmherr des Begegnungsprojekts Orchestercampus ist Bundesaußenminister Guido Westerwelle.

Neben dem Karriereschub für junge Musiker liegt ein weiterer Fokus des Orchestercampus‘ auf der Auseinandersetzung mit der klassischen Musik im jeweiligen Partnerland. Die Türkei ist in diesem Sinn der ideale Gast. Das Land gilt nicht länger nur aufgrund seiner Wirtschaftskraft und seiner geostrategischen Lage als wichtiger Brückenkopf zwischen Europa und Asien, sondern auch als kulturell pulsierende Region, die sich mitten im gesellschaftlichen Wandel befindet. Passend zum diesjährigen Motto des Beethovenfestes „Verwandlungen“. In der Türkei, und vor allem in Istanbul, gebe es einen ausgeprägten „Hunger“ nach Neuer Musik, erzählt Zeynep Gedizlioğlu. Die 1977 in Izmir geborene Komponistin und Preisträgerin des Ernstvon-Siemens-Komponisten-Förderpreises 2012 studierte unter anderem in der Türkei und in Deutschland bei Wolfgang Rihm. Seit rund elf Jahren ist sie als freischaffende Komponistin tätig, sie lebt derzeit in Berlin und Istanbul. Während die Neue Musik in Deutschland mitunter als sehr fordernd gilt, sei sie in der Türkei populär, erklärt Gedizlioğlu: „In Istanbul sind Konzerte mit Neuer Musik, beispielsweise aus Deutschland, ausverkauft. Außerdem sitzen sehr viele junge Menschen im Publikum. Vielleicht liegt das daran, dass die Auseinandersetzung mit der Neuen Musik noch frisch und von weniger Vorurteilen belastet ist“. Auch tendiere man in der Türkei dazu, die ganze Vielfalt der Neuen Musik zu zeigen.

Vielfalt, ein Stichwort für den Orchestercampus: „Es ist uns wichtig, dass aus den jeweiligen Partnerländern Neue Musik gespielt wird“, sagt Ilona Schmiel. Außer Beethoven und Gedizlioğlu wird beim Campus-Konzert das Violinkonzert von Ulvi Cemal Erkin mit der Solistin Bahar Biricik erklingen. Erkin zählt zu den „Turkish Five“, einer Gruppe von Komponisten, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erstmals eine national geprägte symphonische Musik schrieben. Gedizioğlu hingegen repräsentiert die Avantgarde und die heutige Metropole Istanbul.

Bereits im Vorfeld des Orchestercampus wird ein Austausch in Form von deutsch-türkischen Musikerensembles stattfinden. Ein kulturpolitisches Symposium in Bonn gehört zum Rahmenprogramm, ebenso ein Filmprojekt, ein ganztägiges Begegnungsfest, Konzertbesuche und Projekte mit Bonner Schulen. „Unser Bild von anderen Ländern ist oft medial geprägt. Musik kann ein Mittel sein, sich persönlich auseinanderzusetzen“, sagt Schmiel. „Das macht den Orchestercampus aus. Die persönliche Begegnung ist durch nichts zu ersetzen.“ ▪

Claudia Wallendorf