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Büchner reloaded

Er führte ein Leben auf der Überholspur. Mit 23 Jahren war es zu Ende. Eine Erinnerung an Georg Büchner.

16.10.2013
picture-alliance/dpa - Georg  Büchner
© picture-alliance/dpa - Georg Büchner

Man schreibt das Jahr 1813. Über Europa zieht der Kanonendonner der Napoleonischen Kriege, bei Leipzig entbrennt die Völkerschlacht, Napoleon flieht. Deutschland ist ein Flickenteppich aus Fürstentümern und Königreichen im Miniaturformat, von politischer Freiheit keine Spur. In diese enge Welt des Biedermeier wird Georg Büchner hineingeboren, am 17. Oktober 1813, in Goddelau, einem Provinznest bei Darmstadt in Hessen. Der Vater ist Arzt, der Sohn soll in seine Fußstapfen treten.

In der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1834 hetzen zwei Studenten von der oberhessischen Kleinstadt Butzbach zu der ebenfalls im Großherzogtum Hessen-Darmstadt gelegenen Stadt Offenbach. In Botanisierbüchsen schmuggeln sie eine explosive Schrift: ein klassenkämpferisches Flugblatt, das sich den Bauern als „Der Hessische Landbote“ empfiehlt, „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ verkündet und dem ausgemergelten Landvolk die Augen öffnen soll: „Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigene Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker ... Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen ...“

Der eine der Studenten stammt aus einer angesehenen Familie, studiert examenshalber in Gießen Medizin, hat dort eine geheime „Gesellschaft der Menschenrechte“ aus der Taufe gehoben, ist infiziert von den Ideen der französischen Frühsozialisten, schreibt Gedichte und politische Manifeste und heißt Georg Büchner. „Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, dann ist es Gewalt“, heißt sein radikales Credo. Ein Jahr später verfolgt die großherzoglich-hessische Landesregierung den Provokateur aus bestem Hause mit einem Steckbrief wegen „Theilnahme an staatsverräterischen Handlungen“. Büchner hatte sich rechtzeitig abgesetzt, ist von Darmstadt über den Rhein nach Straßburg hinüber ins Exil geflohen - von freiwilligem Martyrium hält er wenig. Er schreibt eine Doktorarbeit über das Nervensystem einer Fischart, untersucht die Nerven der „stummen Kreatur“, die, wie heute erwiesen, gar nicht stumm, deren Schmerzensschreie dem menschlichen Ohr nur nicht vernehmlich sind. Georg Büchner macht als Dichter das Stumme zur Sprache, und zwar zur dramatischen. Auch der Mensch ist einsam in der menschlichen Gesellschaft wie der Fisch in der endlosen Weite des Meeres. Sein erstes Schauspiel, „Dantons Tod“ (1835 in Darmstadt fertig gestellt), wird „das“ politische Stück der deutschen Literaturgeschichte. Es schildert über weite Strecken dokumentarisch die Endphase der Französischen Revolution: Im Schatten des Thermidor läuft nur noch die Guillotine; anstatt der großen Freiheit strömt nur noch das Blut. Die Revolution frisst ihre Kinder. Danton, in Büchners Schauspiel, weiß es bereits: „Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht“, sagt er. In der Chronik des Umsturzes glaubt Büchner den „Fatalismus der Geschichte“ zu erkennen.

In seinem Straßburger Exil arbeitet er pausenlos. Als Naturwissenschaftler seziert er Fische, als Dichter zerlegt er den kranken Körper des Staates. Über „Leonce und Lena“ (1836), einem hintersinnigen Lustspiel, wird Büchner zum Real-Satiriker. Drei Akte lang gießt er derbe Sprüche, Spott und Hohn auf die überlebte Adelswelt, in der auch Leonce und Lena, das Anarcho-Herz-Schmerz-Pärchen, keine Heimat mehr finden. Sie flüchten in die Illusion. „Der Aristokratismus ist die schändlichste Verachtung des heiligen Geistes im Menschen; gegen ihn kehre ich meine Waffen; Hochmut gegen Hochmut, Spott gegen Spott“, notiert Büchner mutig. Im Oktober 1836 zieht der Exilant Büchner, mittlerweile zum Dr. phil. promoviert, nach Zürich. Er doziert „Über Schädelnerven“ , nachts schreibt er ohne Unterlass. „Woyzeck“, sein schauriges Sozialdrama von der geschundenen Kreatur, die durch Wahnzustände taumelt und schließlich in den Mord an seiner Geliebten getrieben wird, bleibt ein Fragment aus 27 beliebig zu spielenden Szenenfetzen.

Am 2. Februar 1837 erkrankt Büchner, 17 Tage später stirbt er, im Fieberdelirium, 23jährig in der Zürcher Spiegelgasse – als Revolutionär gescheitert, als Autor ein Niemand. Allein „Dantons Tod“ wurde zu seinen Lebzeiten gedruckt. Erst im 20.Jahrhundert fand Büchners Trilogie des Niedergangs den Weg auf die Bühne - heute steht er auf einer Stufe mit Goethe und Shakespeare. „Georg Büchner gehört in eine Größenordnung, in der Vergleiche aufhören. Denn wir haben in Deutschland keinen Dramatiker gehabt, dem dieser Jüngling mit drei Erstlingswerken nicht mindestens ebenbürtig geworden ist“, schrieb Ludwig Marcuse über Büchner, dessen Namen der berühmteste deutsche Literaturpreis trägt. (PH).