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Die Chinesin und der demokratische Stuhl

Die chinesische Kuratorin Heng Zhi zeigt im Vitra Design Museum die Entwicklung und Symbolik des „Monobloc“.

Martina Propson-Hauck, 28.06.2017
© Bettina Matthiessen/Vitra Design Museum - Heng Zhi

Jeder kennt ihn, nicht jeder mag ihn: Den meist weißen, etwas wackeligen Stuhl, der vor afrikanischen Cafés und asiatischen Straßenimbissen ebenso steht wie in europäischen Vorgärten.  So mancher Politiker hat schon versucht, ihn aus dem Straßenbild zu verbannen. Dennoch hat sich der „Monobloc“ genannte Kunststoffstuhl  zu dem am weitesten verbreiteten Möbelstück der Welt entwickelt. Er ist erschwinglich, für jeden erhältlich. Deshalb spricht man auch von einem „demokratischen Möbel“. Gegossen ist er in einem Stück, daher der Name. Als sein „Erfinder“ gilt der französische Ingenieur Henry Massonet, der 1972 den Urtyp „Fauteuil 300“ entwarf. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein untersucht in der Ausstellung „Monobloc – Ein Stuhl für die Welt“ derzeit die Entwicklung und Symbolik des Stuhls, der unsere Welt geprägt hat. Kuratorin ist Heng Zhi, geboren und aufgewachsen in China, einem Land, das man nicht unbedingt sofort mit modernem Möbeldesign in Verbindung bringt.

Monobloc

Design hat in China jetzt Priorität

„Die Designausbildung in China wächst gerade rasant, weil sich das Land von der Werkbank der Welt zum Innovationstreiber entwickeln will“, sagt die 34-jährige Zhi. Sie schreibt gegenwärtig eine Dissertation zum Thema „Zeitgenössisches chinesisches Design“ und betreut viele Austauschprojekte zwischen Europa und China. Noch vor zwei Jahren hat sie selbst als Designerin und Künstlerin gearbeitet. Bei der ersten Design-Triennale im National Museum in Peking 2011 war sie vertreten mit einem gedeckten Tisch, dessen opulentes Goldgeschirr samt Besteck ganz  langsam im Wasser versank. Damit wollte sie das Verhältnis zwischen einer zu Zeiten des französischen Sonnenkönigs Ludwig XVI. sehr aufwändigen und verfeinerten Tischkultur und dem immer minimalistischer werdenden Essverhalten moderner Fastfood-Kultur zum Ausdruck bringen. „Das Niveau der Zivilisation zeichnet sich am Verhalten am Tisch ab“, sagt die Künstlerin. Wohin eine Gesellschaft strebt, so könnte man ergänzen, zeichnet sich ebenfalls an ihrem Verhalten zum Thema Design ab. „Design wird politisch und finanziell im Moment sehr gefördert in China“, hat sie beobachtet. Da sie auch für die aktuellen Ankäufe im Vitra-Museum zuständig ist, beobachtet sie auch die wachsende chinesische Designerszene aufmerksam. „Ich bin gerade dabei, einen ersten Ankauf in dieser Richtung anzubahnen.“  

Drei Schauen im Jahr

Wäre sie nicht das Kind von Diplomaten, hätte Heng Zhi vermutlich  niemals ihre Liebe zu Kunst und Design umsetzen können. Aufgewachsen in Peking, besuchte sie eine Schule mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt. Erst als sie mit 17 Jahren mit den Eltern nach Wien kam, fand sie eine Schule, in der bildnerische Erziehung im Mittelpunkt stand, konnte ihre zeichnerischen und künstlerischen Fähigkeiten ausreichend entwickeln. Nach einem Design-Studium und wissenschaftlicher Mitarbeit an der Akademie der Künste sowie einer Assistenzprofessur an der New Design University im österreichischen Sankt Pölten begann sie 2016 als Kuratorin der Sammlung im gleichzeitig eröffneten Schaudepot des Vitra Design Museums. 7000 Möbel und 1000 Lampen stehen dort stellvertretend für  die Entwicklung des weltweiten Designs. Drei Mal pro Jahr holt die Kuratorin einige dieser Stücke aus dem Depot, um an ihnen in Ausstellungen interessante Aspekte der Kulturgeschichte zu erzählen. „Je nachdem, wie man sitzt, ist man ein König oder ein Bettler.“

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