Gestalter einer neuen Zeit
Die Synagoge in Speyer ist der zehnte jüdische Tempel, den der Frankfurter Architekt Alfred Jacoby in Deutschland gebaut hat.

An dieser „Wiedergeburt einer der ältesten jüdischen Gemeinden Europas“, wie es die deutschen Medien nannten, hatte Alfred Jacoby großen Anteil: Nach drei Jahren Bautätigkeit wurde die Thorarolle während der prominent besetzten Einweihungszeremonie der neuen „Beith Schalom“-Synagoge des Frankfurter Architekten in den Thoraschrein eingeschlossen. Als sich die beiden monumentalen Holztüren schlossen, konnte man auf ihnen den Psalm lesen: „Wahrheit entsprießt dem Boden und Gerechtigkeit blickt vom Himmel“. Und gerecht war es, dass am Jahrestag des Kristallnachtpogroms, an dem 1938 die letzte Speyerer Synagoge zerstört wurde, die neue eingeweiht wurde.
Schon vor 1000 Jahren lebten Juden in Speyer und diese jüdische Gemeinde war im Mittelalter wegen ihrer angesehenen Rabbiner, der „Weisen von Speyer“, eine der wichtigsten in Deutschland. Als Mitte der 1990er-Jahre die ersten Juden aus den GUS-Staaten in Speyer einen Kulturverein gründeten, bat Ignatz Bubis, damals Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Alfred Jacoby, mit der Stadt Speyer den Bau eines neues Gotteshauses neben den Ruinen der 1000 Jahre alten Synagoge und der Mikwe auszuloten. „Doch die Stadtverwaltung empfand dieses Projekt als eine zu große Beeinträchtigung des historischen Ensembles“, sagt Jacoby. Beim zweiten Anlauf und an einem anderen Ort, am historischen Weidenberg, entwarf Jacoby dann doch Jahre später die Neue Synagoge in Speyer. Besonders reizvoll war für Jacoby der historische Standort auf dem Weidenberg, weil hier bis 1992 ein katholisches Priesterseminar mit einer eigenen Kirche stand. Seitdem war der Gebäudekomplex verwaist. „Es war mir wichtig, einen Teil der Kirche zu erhalten und zu Räumen für die jüdische Gemeinde umzubauen und daneben die Synagoge direkt auf den Teil des alten Kirchengrundrisses zu platzieren, der vorher als Chorraum diente“. Diesen Teil der Kirche entfernte Jacoby und baute den Betraum „in die richtige Richtung gewandt, nach Jerusalem“. Weil keine christlichen Gräber auf dem Grundstuck zu finden waren, genehmigten auch die Rabbiner diesen Standort. Den Bezug zur christlichen Geschichte Speyers wollte er dennoch sichtbar machen. „Aus den Fenstern der Synagoge sieht man daher den Dom und andere benachbarte Kirchen“. Besonders gelungen findet er an diesem Bauprojekt die Symbiose zwischen dem alten und dem neuen Gebäude, die gut harmonieren und jeweils den ihnen eigenen Charakter bewahren. Auf den großen goldenen Davidstern an der Fassade hätte er verzichten können, um eine doppelte Symbolik zu vermeiden. Die vergoldeten zehn Gebote auf einem schwarzen Thora-Schild, die den Besucher empfangen, reichen seiner Meinung nach vollkommen aus.
Alfred Jacoby wurde 1950 in Offenbach geboren, seine Eltern hatten die Shoah in Polen überlebt und sprachen mit ihm zu Hause anfangs Polnisch und Jiddisch, „Sprachen, die mir als Kind vertrauter waren als Deutsch“. Deutschland verließ er ohne seine Eltern mit 15 Jahren, weil er die Stimmung an seinem Frankfurter Gymnasium als antisemitisch empfand. Er besuchte ein jüdisches Internat in England, studierte in Cambridge und Zürich und kehrte 1980 nach Frankfurt zurück, weil er die ersten Aufträge für den Bau jüdischer Institutionen erhielt. Diese Bauprojekte sah er als Möglichkeit, „eine neue Zeit zu gestalten“ und als die Chance „meine eigene Biographie in Bauwerke umzuformen“. So entwarf Jacoby zum Beispiel die Synagogen in Darmstadt, Köln und Heidelberg. In Offenbach baute er die Synagoge seiner Kindheit um. Jacoby will in Deutschland als deutscher Jude leben, nicht als „eine Erinnerungskerze von Holocaust-Überlebenden“. Das Judentum sei eine Religion, die sich nicht allein durch diese schrecklichen Ereignisse definiere.
Die Speyerer Synagoge ist Jacobys zehnter jüdischer Tempel in Deutschland. Die meisten Projekte gewann er in einem Wettbewerb, was er als „gutes Instrument empfindet, um gute Architektur zu schaffen“. In den USA (Park City) baute er zudem im Auftrag einer reformierten jüdischen Gemeinde, in der Männer und Frauen nebeneinander sitzen und deren Gemeindesaal während des „Sundance Film Festivals“ auch als Kino benutzt wird. „In Deutschland ist es wichtig, eine Synagoge für alle zu bauen, Juden wie Nichtjuden“. Deshalb bemühte er sich, seine Synagogen immer in der Stadt als solche deutlich sichtbar werden zu lassen. Zugleich will er eine Synagoge für alle Juden zugänglich machen, die Orthodoxen wie die Liberalen. Für Jacoby sollte eine Synagoge im heutigen Deutschland ein meditativer abstrakter Raum sein, damit sich jeder Besucher dort mit seiner eigenen Geschichte wiederfinden kann. Das Gebäude verkörpert für ihn nie selbst ein Stück Geschichte. „Ich will nicht ein Mahnmal errichten, das die Juden mit der schrecklichen Geschichte der Shoah konfrontiert. Das will ich den Betenden nicht antun“. Zugleich gibt er zu, es sei schwer, die jüdischen Gemeinden für moderne abstrakte Architektur zu begeistern. „Gemeindevorstände sehnen sich oft nach den ihnen vertrauten traditionellen Ornamenten“.
Alfred Jacoby ist nicht nur ein erfolgreicher Architekt von Synagogen. Er entwarf das Frankfurter Meldeamt, baute Wohnsiedlungen in Darmstadt und Mainz und er lehrt als Professor Architektur an der Hochschule Anhalt in Dessau . Ein Jahr lang war er auch Gastdozent am Technion in Haifa. Seit 2006 leitet Jacoby als Vorstandsvorsitzender die Jüdische Gemeinde Offenbach. Obwohl Jacoby häufig in die Synagoge geht und auch Vorbeter ist, bezeichnet er sich nicht als orthodox und isst auch nicht koscher. Dennoch gelang es ihm als erster Vorsitzender einen orthodoxen Chabad-Rabbiner für seine Gemeinde zu gewinnen. Jacoby wurde in die Offenbacher Gemeinde hineingeboren und betrachtet sie als sein Zuhause. „Hier kann ich viele vertreten, die sich in Deutschland noch nicht zu Hause fühlen“. Die meisten der 1000 Mitglieder kamen in den letzten Jahrzehnten aus Ost-Europa, nicht nur aus den GUS-Staaten.
Was mag er an Deutschland am meisten? „Dass es ein weltoffenes Land und ein zentraler Teil Europas ist, in dem man seine Meinung sagen kann“. Seine beiden Töchter leben in der Schweiz. Das enttäuscht ihn aber nicht: „Die Wanderschaft ist doch eine jüdische Tradition“.