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Theater mit dem Atem der Hoffnung

Die israelische Regisseurin Yael Ronen ist ein Star des Berliner Theaters. Mit Tiefgang und Humor bringt sie härteste Themen auf die Bühne.

Till Briegleb, 30.09.2015

Wann ist das Verhältnis zwischen Menschen normal? Wenn es ohne Misstrauen ist? Ohne Aggressionen, ohne Schuldgefühle? Doch wie tief reichen die Wurzeln der persönlichen Geschichte durch den Humus der Vergangenheit bei Gemeinschaften, deren Verhältnis von entsetzlicher Gewalt geprägt wurde? Ist eine Generation genug Abstand oder braucht es zwei, drei oder noch mehr, um eine unbefangene Begegnung zwischen Israelis und Deutschen, Israelis und Palästinensern, Bosniern und Serben zu ermöglichen? Und ist ein unbefangener Kontakt überhaupt wünschenswert? Dies sind die Fragen, mit denen sich die israelische Theaterregisseurin Yael Ronen in ihren wichtigsten Arbeiten beschäftigt. Wobei das Adjektiv „israelisch“ bereits eine unzulässige Verkürzung für eine in Berlin lebende Künstlerin aus Tel Aviv mit palästinensischem Mann und Wiener Großvater ist, die in Deutschland nur Englisch spricht. Doch vielleicht ist es genau dieser Mischmasch an Kulturbezügen, der Ronen einen unbefangeneren Zugang zu den vergrabenen Reißlinien erlaubt, die es zwischen den Identitäten gibt.

Ronen ist Hausregisseurin am Berliner Maxim Gorki Theater – wo unter Leitung der armenisch-türkisch-deutsch-verwurzelten Intendantin Shermin Langhoff Berliner Weltkultur auf die Bühne gebracht wird. Sie hatte 2008 ihren internationalen Durchbruch mit einem Stück, dessen Titel „Dritte Generation“ bereits mitten ins Thema führt. Zehn Schauspieler aus Deutschland und Israel, von ihnen jeweils drei mit jüdischer und palästinensischer Familiengeschichte, hebelten sich in dieser Performance ständig gegenseitig in ihren Überzeugungen und Vorurteilen aus. In einem mal bitterernst, mal urkomisch wirkenden Dauerzank, wie die Zusammenhänge von Holocaust, israelischer Staatsgründung und der palästinensischen Frage „tatsächlich“ sind, wurde durchaus unterhaltsam deutlich, wie vertrackt es auch in der Enkelgeneration aussieht.

Es sind krampflösende Mittel, die Yael Ronen einsetzt, um fürchterliche Themen wie Völkermord und Krieg so zugänglich zu machen, dass ihre Stücke bei aller Belastung doch einen gewissen Optimismus bewahren. Mit Ironie und ohne Angst vor Klamauk zeigt sie immer wieder die Absurdität von festgefahrenen Denkmustern. In ihrem aktuellen Erfolgsstück „Common Ground“ begeben sich die erwachsenen Kinder von Flüchtlingen, die den unterschiedlichen Parteien des Balkankriegs angehören, auf eine Reise zu den Orten dieser traumatischen Auseinandersetzung. Obwohl das Stück vor allem zeigt, wie brüchig Berliner Freundschaften werden, sobald ererbte Schuldzuweisungen auf den Plan treten, löst Ronens Humor immer wieder den Knoten der Anspannung, um das Gemeinsame wiederzufinden. Vielleicht ist es die Leichtigkeit, die Yael Ronen ausstrahlt, dieses freundliche Nachdenken, das immer wieder von einem hellen Lachen unterbrochen wird, was sie dazu befähigt, so grundsätzlich positiv zu wirken. Auch wenn sie stets betont, dass es ihr darum geht, Fassaden durchscheinend zu machen und die Brüche hinter scheinbarem Einverständnis aufzuzeigen, so sind ihre Inszenierungen doch getragen vom Atem der Hoffnung.

Als Spross einer Theaterfamilie – Vater Ilan ist künstlerischer Direktor des Habimah Theater in Tel Aviv, die Mutter Rachel Hafner ist Schauspielerin, ebenso wie der Bruder Michel und ihr Mann Yousef Sweid – kennt Yael Ronen keine Scheu vor den verführerischen Mitteln der Bühnenkunst. Ob sie Klassiker wie Kleists „Michael Kohlhaas“ adaptiert, einen Abend über Erotik erarbeitet oder in Graz – ihrem zweiten langjährigen Arbeitsort – die Gründung einer autonomen Theaterkommune nach dem Zusammenbruch der EU herbeiphantasiert, „der Hauptplan für Theater sollte sein“, so Ronen, „dass es nicht langweilig ist“. Dabei ist nicht nur ihr Versuch, politisch-historisches Theater zu entwickeln, das verdrängte Themen mit den Mitteln des Humors ans Licht führt, außergewöhnlich. Auch ihre Arbeitsweise, die sie selbst als „sehr unhierarchisch“ beschreibt, ist im regisseurfixierten deutschen Theatersystem bemerkenswert. Ihre Projekte entwickelt sie in Improvisationen und Recherchereisen mit den Schauspielern, die auch die meisten Texte liefern, aus denen Ronen dann die Stücke so erarbeitet, dass die stark persönliche Note erhalten bleibt. Und ihr Hauptwunsch an die gemeinsame Arbeit ist es, „so viele aktive Mitschöpfer zu haben wie möglich“.

Für ihr neuestes Stück ist sogar ein ganzes Stadtgebiet die Quelle. Das Material zu „The Situation“ – Synonym für den Nahostkonflikt – lieferte Yael Ronen das Verhalten der zahlreichen Levante-Exilanten in Berlin. Tatsächlich können sich Libanesen, Palästinenser und Israelis in Deutschland vollkommen anders begegnen als in ihren Heimat. Aber ob diese Begegnungen wirklich unbefangen und ohne Komik ablaufen, das muss stark bezweifelt werden, wenn Yael Ronen darüber ein Stück machen kann. Denn wäre es normal, dann wäre es langweilig. ▪