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Tradition in 
neuem Licht

Professor Walter Smerling hat mit „CHINA 8“ die größte Schau zeitgenössischer chinesischer Kunst kuratiert. Ein Interview über neue Positionen.

02.10.2015

Herr Professor Smerling, Sie und Ihre Kollegen haben mit „CHINA 8“ in diesem Jahr die größte Schau zeitgenössischer chinesischer Kunst auf die Beine gestellt. Welches sind Ihrer persönlichen Meinung nach die bedeutendsten neuen Positionen?

Die Ausstellung CHINA 8 macht deutlich, dass sich die aktuelle Szene in China verstärkt auf Traditionen beruft und eine ganz eigenständige Sprache entwickelt. Zu den neuen, spannenden Positionen gehören für mich Zhang Ding, der mit seiner Installation Fragilität und Stärke symbiotisch inszeniert, Zhou Zixi, der in seinen Bildern mit Motiven aus der Vergangenheit und Aktualität spielt, und Han Feng, dessen Spiegelbilder Malerei und Meditation vereinen. Generell ist natürlich bemerkenswert, dass die Künstler, die vor 20 Jahren zum Underground zählten, konsequent ihren Weg gegangen sind und weiter gehen.

Zur Vorbereitung haben Sie über 200 Ateliers in China besucht. Mit welcher Vorstellung von chinesischer Kunst sind Sie nach China gereist, mit welchen Eindrücken sind Sie zurückgekommen? Hat Sie etwas besonders überrascht?

Alle Reisen in den vergangenen 20 Jahren waren voll von Überraschungen. Immer wieder lernte ich neue Künstler, neue Kuratoren und diesmal auch chinesische Privatsammler kennen. In künstlerischer Hinsicht war es für mich interessant festzustellen, dass sich die chinesische Kunstszene von westlichen Vorbildern emanzipiert. Die Künstler gehen ihren eigenen Weg, der zunehmend entideologisiert und kontemplativ ist. Sie beschäftigen sich mit der Tradition und ihren künstlerischen Wurzeln und entwickeln diese weiter.

Es hieß, einige chinesische Künstler aus CHINA 8 würden in Deutschland leben und arbeiten. Um wen handelt es sich? Und wofür stehen sie?

Mou Huan oder Ren Rong sind Künstler, die zur Hälfte in Peking und in Deutschland leben, in Düsseldorf und Bonn. Mou Huan war Schüler von Konrad Klapheck und Jörg Immendorff, Ren Rong von Fritz Schwegler. Für beide ist das in China bekannte historische Credo „Kunst soll dem Volk dienen“ in gewisser Hinsicht die Aufforderung, hinter die Fassade, unter das Wurzelwerk der schönen Pflanzen und Blumen zu schauen. Es geht ihnen um die vielschichtige Hinterfragung von scheinbarer Schönheit und Funktionalität und die Entdeckung der dahinter liegenden Wahrheiten. Zhou Xiaohu lebt zur Zeit als Stipendiat in Berlin. Seine Beitrag für CHINA 8, entstanden in seinem Atelier in Shanghai, ist eine Reflexion über die Krisen dieser Welt. Er versetzt das Publikum in die Illusion, darauf reagieren zu können. Die chinesischen Künstler verhandeln globale Entwicklungen wie nationale Themen gleichermaßen. Die Zeiten der nationalen Begrenzung sind längst vorbei.

Sie zeigten Werke aus allen Sparten. Gibt es ein bevorzugtes Medium der chinesischen Künstler? Oder: In welchem Bereich sind sie besonders stark?

Der Absolvent einer chinesischen Kunstakademie wird zunächst in den traditionellen Bereichen – in Kalligraphie und Tuschemalerei, im Zeichnen, Malen und in der Bildhauerei – fundamental ausgebildet. Das grundlegende Handwerk beherrschen sie alle meisterhaft. Anders als noch vor 20 Jahren entscheiden die heutigen Künstler aber anschließend entsprechend ihren individuellen Vorstellungen und gemäß ihrem Wirkungsanspruch, in welchem Medium sie ihre Ideen umsetzen wollen. Video, Film und Sound gehören längst dazu. Es geht nicht mehr wie einst darum, dem Meister nachzueifern, es geht um den eigenen Weg, um individuelle Inhalte. Die Intensität, mit der diese Individualisierung vorangetrieben wird, ist neu in der chinesischen Kunstszene.

Sie haben schon einige China-Ausstellungen organisiert. Werden aus CHINA 8 weitere Projekte entstehen?

Die chinesische Botschaft in Berlin hat mich darum gebeten, ein Konzept für eine Ausstellung deutscher Kunst analog zu CHINA 8 zu erarbeiten, „German Art in China“, ein spannender Blick nach Deutschland. Diese Antwort wäre ein gutes Zeichen für den interkulturellen Dialog und würde die Nachhaltigkeit der Ausstellung CHINA 8 unterstreichen. ▪

Interview: Martin Orth