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Zeichen der Versöhnung

Deutsch-russische Initiativen bemühen sich beim Thema „Beutekunst“ um Verständigung und Transparenz.

21.01.2014
© picture-alliance/ZB - Pergamonaltar

Es war ein schier unglaublicher Fund, von dem die deutsche Öffentlichkeit im November 2013 erfuhr: Rund 1300 Gemälde, Zeichnungen, Lithografien und Drucke, angefertigt unter anderen von so bekannten Meistern wie Matisse, Dix und Chagall, waren von der Staatsanwaltschaft in einer Münchner Wohnung sichergestellt worden. Diese Sammlung des im Jahr 1956 verstorbenen Kunsthistorikers Hildebrand Gurlitt hatte sein Sohn Cornelius über Jahrzehnte im Verborgenen verwahrt. Voraussichtlich wird es wiederum Jahrzehnte dauern, bis Eigentümer- und Herkunftsverhältnisse geklärt sein werden. Bei einigen der Werke gilt es als wahrscheinlich, dass sie in der Zeit der Nazi-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs widerrechtlich erworben wurden. In den Tagen nach dem spektakulären Münchner Fund, als viel über Unrecht und Wiedergutmachung diskutiert wurde, machte eine Initiative Schlagzeilen, die für Aufklärung im problematischen Themenfeld der „Beutekunst“ steht.

Am 18. November, auf der 4. Jahrestagung des Deutsch-Russischen Bibliotheksdialogs in Leipzig, übergab Stephan Graf von der Schulenburg 125 Bände aus der Zarenbibliothek Pawlowsk an Alexei Gusanow, Hauptkonservator des Schlossmuseums Pawlowsk. Eine Forschungsgruppe der deutschen Kulturstiftung der Länder hatte sich zuvor gemeinsam mit Mitarbeitern des Schlossmuseums auf die Suche nach den Büchern gemacht, die während des Zweiten Weltkriegs von einem deutschen Sonderkommando geraubt worden waren. Dabei griffen die Forscher auf Dokumente zurück, die die Übergabe von 170 Büchern durch das Sonderkommando an den früheren deutschen Botschafter in Moskau Friedrich Werner Graf von der Schulenburg im Jahre 1942 belegen. Teile der Büchersammlung Schulenburgs befanden sich bereits in Moskauer Bibliotheken; das dokumentiert ein 2009 publizierter Katalog. Die anderen Bände waren aber in den Besitz seiner Nachfahren gelangt. Als diese von den unrechtmäßig erworbenen Büchern erfuhren, entschloss sich die Familie zur Restitution der Bände an Schloss Pawlowsk. „Auch wenn es nur eine Geste der Versöhnung fernab einer Wiedergutmachung sein kann: Die Rückgabe der Pawlowsker Bestände zeigt, welche konkreten Ergebnisse der intensive und kollegiale Austausch russischer und deutscher Wissenschaftler hervorbringen kann“, sagte Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder.

Mehrere bilaterale Kooperationen haben sich in den vergangenen Jahren für diesen Austausch eingesetzt. Am umfassendsten ist der „Deutsch-Russische Museumsdialog“: Zu ihm schlossen sich 80 deutsche Museen mit Kriegsverlusten 2005 zusammen. Die Initiative versteht sich als „Kompetenzzentrum, das deutschen und russischen Museen die richtigen Gesprächspartner vermittelt“, erläutert Leiterin Britta Kaiser-Schuster: „Wir unterstützen den Fachdialog, damit jedes Museum seine eigene Geschichte und den Verbleib seiner Bestände erforschen kann.“ Pauschale Forderungen nach Beutekunst-Rückgabe führten in eine „Sackgasse“, betont die Dezernentin der Kulturstiftung der Länder: „Häufig ist unklar, was aus den vermissten Werken geworden ist. Wir brauchen Transparenz: Aus Kisten in dunklen Kellern müssen die Dinge ans Tageslicht geholt werden, um sie Forschung und Öffentlichkeit zu präsentieren.“ Dieser Ansatz gemeinsamer Aufklärung finde auf russischer Seite zunehmend Verständnis, so Kaiser-Schuster. Bereits 2008 richtete der „Museumsdialog“ im Berliner Pergamonmuseum einen Festakt aus, um den 50. Jahrestag der Rückführung deutscher Kulturgüter aus der Sowjetunion zu würdigen.

Schon in den Jahren 1958/59 gab Moskau der DDR rund drei Viertel der aus Deutschland verschleppten Kunstwerke zurück; darunter weltberühmte Arbeiten wie die „Sixtinische Madonna“ von Raffael, das Prunkstück der Dresdener Gemäldegalerie, und Friese des Pergamonaltars, Herzstück des nach ihm benannten Berliner Pergamonmuseums.

Vereinzelte deutsch-russische Rückgabe-Aktionen konnten allerdings wenig an grundsätzlichen juristischen Differenzen ändern. Die russische Duma erklärte 1998 die noch im Land befindliche Kunst aus deutschen Museen zu Staatseigentum. Nach Ansicht der Bundesregierung ist dieses Gesetz völkerrechtswidrig. Um Auswege aus den sich widersprechenden Rechtspositionen zu finden und den Verbleib vermisster Kunstwerke aufzuklären, wurden Initiativen wie der „Deutsch-Russische Museumsdialog“ und der „Deutsch-Russische Bibliotheksdialog“ gestartet. Auch die große deutsch-russische Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“, die 2013 bereits in St. Petersburg und Moskau gezeigt wurde, profitierte von weitreichender Kooperation. So konnten etwa deutsche Fachleute im Vorfeld „kriegsbedingt verlagerte Objekte“, so eine offizielle Formulierung, in russischen Depots untersuchen.

Dass der angestrebte Austausch auch von persönlichen Initiativen geprägt wird, zeigt beispielhaft der Fall zweier Dokumentenmappen in der „Bibliothek für seltene Bücher und Handschriften“ der Moskauer Lomonossow-Universität. Ihr Inhalt blieb ein halbes Jahrhundert lang unberührt. Doch Ende der 1990er-Jahre begannen die beiden russischen Germanistinnen Catherine Squires und Natalja Ganina die Bedeutung der enthaltenen mittelalterlichen Dokumente zu entschlüsseln. Der Gymnasialdirektor Gustav Schmidt hatte sie Ende des 19. Jahrhunderts in Halberstadt gesammelt und aus alten Büchern herausgelöst.

Buchmacher hatten in der Frühneuzeit ältere Pergament- und Papierbögen zur Verstärkung in die Einbände neu gedruckter Bücher eingeklebt. So blieben seltene Fragmente aus dem Mittelalter erhalten; etwa die einzige Handschrift des Werks „Das fließende Licht der Gottheit“, das die Mystikerin Mechthild von Magdeburg im 13. Jahrhundert verfasste – das älteste von ihr überlieferte Manuskript überhaupt. Catherine Squires wünscht sich eine Digitalisierung aller Dokumente der Sammlung Gustav Schmidt. „Das ist das Wichtigste für uns Forscher, dass die Schätze erschlossen werden“, sagte sie der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. „Denn sie gehören ja der ganzen Welt.“

Die Mehrzahl der vom Krieg betroffenen Kulturgüter bleibt allerdings verloren. Wie das geschehen konnte, soll das 2012 begonnene Forschungsprojekt „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ klären. Drei Viertel des Budgets von 800 000 Euro finanziert die deutsche Volkswagen-Stiftung, ein Viertel die Kulturstiftung der Länder und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Wir wollen den Museen und ihren Verlusten eine Geschichte geben“, erklärt Leiter Wolfgang Eichwede, ausgewiesener Russland-Experte und bis zu seiner Emeritierung verantwortlich für die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Sechs Fallstudien über vier Zarenschlösser und die beiden Museumsstädte Nowgorod und Pskow sollen exemplarisch das Kriegsgeschehen von der Besatzung über Raub, Zerstörung und Befreiung bis zum Wiederaufbau nachzeichnen.

Dabei geht es vor allem um gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit. „Da die Wehrmacht in Russland wahrscheinlich mehr zerstört hat, als die Rote Armee aus Deutschland mitnahm, ist ein materieller Ausgleich nicht denkbar, sondern nur gegenseitige Verständigung“, hebt Eichwede hervor: „Es geht um neue Formen, der Öffentlichkeit Zugang zu diesen Objekten zu ermöglichen, wo immer sie sich befinden.“ ▪

Oliver Heilwagen