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„Geld ist nicht das Entscheidende“

Unterstützung nach der Katastrophe: Barbara Schock-Werner koordiniert die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau von Notre-Dame.

Interview: Helen Sibum, 17.11.2020
Baustelle Notre-Dame
Baustelle Notre-Dame © dpa

Als ehemalige Kölner Dombaumeisterin kennt Barbara Schock-Werner sich mit historischen Kirchenbauten aus wie nur wenige weitere Fachleute in Deutschland. Insofern fiel folgerichtig die Wahl auf die erfahrene Architektin und Denkmalpflegerin, als nach dem verheerenden Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame jemand gesucht wurde, der die vielen Hilfsangebote aus Deutschland in die richtigen Bahnen lenkt.

 

Barbara Schock-Werner, ehemalige Kölner Dombaumeisterin
Barbara Schock-Werner, ehemalige Kölner Dombaumeisterin

 

Frau Schock-Werner, was haben Sie gedacht, als Sie im April 2019 die Fernsehbilder der brennenden Kathedrale von Notre-Dame sahen?

Ich dachte: „Das kann gar nicht wahr sein, das passiert nicht wirklich.“ Ich war völlig entsetzt, weil ich mir gut vorstellen konnte, was dieser Brand für das Gebäude und die Kolleginnen und Kollegen in der Denkmalpflege dort bedeutete.

Hatten Sie gleich den Gedanken, dass Sie zum Wiederaufbau beitragen könnten?

Nein, das kam erst drei Tage später, mit einem Anruf aus dem Büro von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Es gäbe aus Deutschland so viele Angebote zur Unterstützung beim Wiederaufbau, dass sie dringend jemanden bräuchten, der das Ganze koordiniert. Weil mir neue Aufgaben immer willkommen sind, habe ich Ja gesagt.

Was ist Ihre Aufgabe?

Erst einmal habe ich die Hilfsangebote gesammelt und all die Schreiben beantwortet. Natürlich musste ich die Menschen erstmal vertrösten. Dieser Brand traf Frankreich ja völlig unvorbereitet – es brauchte überhaupt erstmal eine Organisation, die den Wiederaufbau umsetzen kann.

Weil mir neue Aufgaben immer willkommen sind, habe ich Ja gesagt.
Barbara Schock-Werner, Beauftragte für die Koordination der deutschen Hilfe beim Wiederaufbau von Notre-Dame

Welche Hilfsangebote waren dabei?

Ganz verschiedene. Ein deutscher Kranhersteller bot an, Geräte für die Baustelle zur Verfügung zu stellen. Das ist tatsächlich umgesetzt worden. Holzspenden wurden in Aussicht gestellt und einzelne Zimmerleute boten ihre Mitarbeit an. Jemand wollte den Dachstuhl der Kathedrale mit 3D-Druck wieder errichten, ein anderer eine Skulptur aus dem verbrannten Holz schaffen. Das ist vorstellbar, aber im Moment sicher nicht das Dringendste.

Neben den praktischen Hilfsangeboten gab es in Deutschland auch eine große Spendenbereitschaft.

Auf dem Konto bei der deutschen UNESCO-Kommission liegen heute rund 460.000 Euro. Auch der Kölner Dombauverein hat gesammelt, inzwischen 220.000 Euro. Das Geld kam von Einzelpersonen, Kirchengemeinden, Unternehmen. Allerdings erhielt Frankreich insgesamt Hunderte Millionen Euro an Spenden, Geld ist also nicht das Entscheidende. Ich war mir mit allen Beteiligten einig, dass wir die Spenden mit einem konkreten Hilfsangebot verbinden wollten.

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Was für ein Angebot war das?

Die Zuständigen in Frankreich haben die Glasfenster der Kathedrale ausbauen lassen, um sie zu reinigen und zu restaurieren. Weil es in Deutschland an drei Dombauhütten Glaswerkstätten gibt, dachte ich: Das ist eine nützliche Hilfe – wir übernehmen einen Teil der Glasrestaurierung. Die Absprachen waren am Anfang allerdings schwierig, weil es noch keine klaren Zuständigkeiten gab.

Dann kam auch noch die Corona-Pandemie dazwischen.

Ja. Unmittelbar nach dem Brand war ich dreimal in Paris und habe die Kathedrale und die Werkstätten der französischen Denkmalpflege besucht, aber dann wurde das Reisen leider unmöglich. Vieles geht per Videokonferenz, aber nicht alles. Trotzdem sind wir uns darüber einig geworden, dass vier oder fünf der jeweils etwa 72 Quadratmeter großen Fenster in Deutschland restauriert werden. Die Arbeiten werden allerdings vermutlich erst Anfang 2021 beginnen, weil die Kolleginnen und Kollegen in Paris immer noch mit der Sicherung und anderen akuten Herausforderungen beschäftigt sind.

Auch die deutschen Dombauhütten mit ihren Steinmetzen könnten sicher helfen.
Barbara Schock-Werner, Beauftragte für die Koordination der deutschen Hilfe beim Wiederaufbau von Notre-Dame

In welchen Bereichen neben der Glasrestaurierung hat Deutschland noch besondere Expertise?

Die Dombauhütten mit ihren Steinmetzen könnten sicher helfen, aber es ist noch nicht klar, ob die Gewölbe der Kathedrale tatsächlich ausgetauscht werden müssen. Das hängt davon ab, ob sie so stark erhitzt wurden, dass sie nicht mehr tragfähig sind. Um das zu ermitteln, sind noch umfangreiche Untersuchungen nötig. Gegebenenfalls könnten deutsche Steinmetze nach Paris kommen oder ein Teil des Steinmaterials könnte mit Hilfe von Schablonen hier gefertigt werden. Vielleicht können wir auch bei der Reinigung der Orgel helfen, die ganz auseinandergebaut und gesäubert werden muss, weil Bleistaub in den Pfeifen ist.

Klingt alles, als wäre viel Geduld gefragt.

Viele Menschen haben die Vorstellung, dass so eine Kirche von heute auf morgen wieder aufgebaut werden kann. Das ist natürlich nicht der Fall. Mein französischer Kollege sagte mir, es werde allein zehn Jahre dauern, bis die Steine wieder ganz trocken sind. Weil mit Wasser aus der Seine gelöscht wurde, gibt es außerdem einen gewissen Schmutzeintrag in den Wänden, der beseitigt werden muss.

Könnte der Wiederaufbau von Notre-Dame die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Denkmalpflege langfristig stärken?

Philippe Villeneuve, Frankreichs Chefarchitekt für historische Bauwerke, war dieses Jahr bei den Dombautagen in Basel. Notre-Dame hat bis jetzt keine Dombauhütte – er zeigte großes Interesse, eine solche Institution aufzubauen und dabei auch auf deutsches Know-how zurückzugreifen. So könnte aus der Katastrophe noch etwas Gutes erwachsen.

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