„Alles begann mit einer nächtlichen E-Mail“
Er kennt den Hass – und hat ihn überwunden. Heute kämpft Ahmad Mansour in Deutschland gegen Extremismus. Was ihn dabei antreibt.
Vor 18 Jahren kam er von Tel Aviv nach Berlin, seitdem engagiert sich Ahmad Mansour in Deutschland gegen Rassismus, Extremismus und Antisemitismus. Mit seiner Arbeit hat der Psychologe bereits Tausende Jugendliche und Erwachsene erreicht – trotzdem sieht er sich noch lange nicht am Ziel.
Herr Mansour, Sie sind als arabischer Israeli in Tira geboren und als junger Erwachsener 2004 nach Deutschland ausgewandert. In diesem Jahr haben Sie das Bundesverdienstkreuz bekommen, die höchste staatliche Auszeichnung, die es in Deutschland für gesellschaftliches Engagement gibt. Was bedeutet Ihnen das?
Sehr viel! Es tut gut zu spüren, dass man Teil dieses Landes ist und dass die eigene Arbeit gewürdigt wird. Ich bin ja für einige meiner Positionen zu religiösem Extremismus in der deutschen Öffentlichkeit auch schon scharf kritisiert worden. Daher war es eine große Freude, diese Anerkennung zu bekommen. Es gibt meinen eigenen Integrationsgefühlen einen unglaublichen Schub und bestärkt mich darin, was ich hier in Deutschland mache.
Ursprünglich haben Sie Klinische Psychologie studiert, sind dann aber beruflich in Richtung Jugend-, Aufklärungs- und Präventionsarbeit abgebogen. Wo und wie fanden Sie zu Ihrem Lebensthema – dem Kampf gegen Islamismus, Rassismus und Antisemitismus?
Privat war das schon früh ein Thema für mich, sowohl in der Beziehung zu meinen Eltern als auch zu meinen jüdischen Freunden in Israel. Politik hat mich als Jugendlicher sehr interessiert, ich war 1995 auch bei den großen Friedensdemonstrationen, kurz bevor Yitzhak Rabin ermordet wurde. Dass ich nach meinem Psychologie-Diplom in Berlin 2007 in der Jugendarbeit landete, war eher ein Zufall: Ich sah eines Nachts eine TV-Reportage über Ehrenmorde in Deutschland. Für mich war das absolut überraschend; ich dachte, so etwas gäbe es nur im Nahen Osten. Noch in der Nacht schrieb ich eine E-Mail an den Integrationsbeauftragten im Berliner Bezirk Neukölln – dort leben viele türkisch- und arabischstämmige Familien. Ich bot meine Hilfe an, er verwies mich an ein Aufklärungsprojekt an Schulen, das dringend Mitarbeiter suchte. So fing alles an.
Sie selbst rutschten als Jugendlicher fast in den islamischen Fundamentalismus ab, obwohl Sie in einer nicht-religiösen Familie aufgewachsen sind. Das Studium half Ihnen, Abstand zu gewinnen und Ideologien kritisch zu hinterfragen. Ist Bildung ein wichtiger Baustein der Präventionsarbeit?
So pauschal kann man das nicht sagen. Akademische Abschlüsse können helfen, müssen aber nicht. Viele denken, dass Extremisten grundsätzlich bildungsferne Versager sind – das trifft keinesfalls zu, manche sind sogar hochgebildet. Was ich aber damals an der Uni in Tel Aviv erlebte, war großartig: Kritisches Denken wurde bei uns Studierenden gefördert, wir lernten zu debattieren und sachlich zu streiten. Und ich las zum ersten Mal Bücher, die mein damaliges Weltbild ins Wanken brachten. Diese Art der Bildung wirkt definitiv gegen Radikalisierung.
Heute schulen Sie unter anderem angehende Polizistinnen und Polizisten in Berlin in interkultureller Kompetenz. Was ist dabei Ihre zentrale Botschaft?
Ich sehe meine Arbeit als einen Teil von zahlreichen Bemühungen, die Polizei moderner zu machen, sodass sie auf gesellschaftliche Entwicklungen besser reagieren kann. Polizisten in der Hauptstadt Berlin brauchen täglich interkulturelle Kompetenz. Hier trifft man auf den Straßen dutzende Nationalitäten, kommt mit vielen Kulturen in Kontakt. Da ist es wichtig zu verstehen, dass einerseits jeder von Rassismus betroffen sein kann – aber andererseits auch jeder Rassismus reproduzieren kann. Und zwar unabhängig von Bildung, Kultur, Religion, Hautfarbe. Ich erlebe die Polizei übrigens als sehr offen und diskussionsbereit bei dem Thema.
In Ihrem 2020 erschienenen Buch „Solidarisch sein!“ schreiben Sie vom „Albtraum des Antisemitismus“, er werde in Deutschland lauter und aggressiver und tauche in „nahezu allen Milieus“ auf – ein sehr beschämender Befund rund 80 Jahre nach dem Holocaust. Müssen Bildungsinstitutionen in Deutschland noch stärker versuchen, junge Menschen zu erreichen?
In der Tat sehe ich da großen Nachholbedarf. Wir brauchen eine moderne Erinnerungskultur, die auch Menschen nicht-deutscher Herkunft einschließt. In dem Projekt „ReMember“ versuche ich das mit meinem Team zu praktizieren. Dabei kommen junge Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte zusammen und nähern sich gemeinsam der deutschen Geschichte und dem Thema Antisemitismus. Eine weitere große Herausforderung sehe ich im Bereich digitale Medien. Wie können wir soziale Netzwerke demokratiefähiger machen? Wie auf Propaganda, Fake News oder antisemitische Verschwörungstheorien reagieren? Auch die Schulen müssen da noch viel mehr einbezogen werden. Ich wünsche mir wirklich eine breite gesellschaftliche Offensive.
Sie haben mittlerweile ein eigenes Institut gegründet, das zahlreiche Präventionsworkshops gegen muslimischen Extremismus und Antisemitismus anbietet. Beschränkt sich Ihr Fokus dabei allein auf Deutschland?
Das Institut arbeitet europaweit, unter anderem gibt es Projekte in Österreich und Kooperationen in der Schweiz. In Deutschland arbeiten wir mit vielen Landesregierungen, Bundesministerien und öffentlichen Institutionen zusammen. Politisch sind wir dabei völlig unabhängig. Für uns ist wichtig, dass die Schulungen für die Pädagogen und Jugendlichen vor Ort hilfreich sind – ob also etwas in den Köpfen hängen bleibt und tatsächlich zu Verhaltensänderungen führt.
Sie sind jetzt 46 Jahre alt, erfolgreicher Autor, Experte, Gründer – und dazu vielfach preisgekrönt. Was bleibt noch als Ziel für die Zukunft?
Ich habe noch unglaublich viele Ziele, ich habe doch gerade erst anfangen! Mein deutscher Traum, wenn ich das mal so nennen soll, ist es, aktiv mitzugestalten. Ich möchte eine Stimme sein, die gehört wird, ich möchte einen Unterschied machen und die Gesellschaft zum Besseren verändern. Aber ich gebe zu, dass ich – wie viele Migranten – auch Momente der Krise kenne. Man fängt irgendwann an, die alte Heimat zu romantisieren und mit der neuen zu hadern. Ich bin zum Beispiel oft mit der Debattenkultur in Deutschland nicht zufrieden und wünsche mir mehr Engagement von Politik und Gesellschaft gegen Extremismus und Antisemitismus. Aber das ändert nichts an meinem Grundgefühl: Deutschland ist jetzt meine Heimat und ich bin sehr froh, hier leben zu können.
Zur Person
Ahmad Mansour (*1976) ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Der Diplom-Psychologe arbeitet seit Jahren in zahlreichen pädagogischen Projekten und Initiativen gegen Extremismus und zur Demokratieförderung. Er ist zudem einer der wichtigsten Islamismus-Experten Deutschlands, schreibt Bücher, veröffentlicht Artikel und hält Vorträge. 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention); im Herbst 2022 erscheint sein neustes Buch Operation Allah – Wie der Politische Islam unsere Demokratie unterwandern will. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Preise, zuletzt im Juli 2022 das Bundesverdienstkreuz.