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Der Bundestag feiert 100 Jahre Frauenwahlrecht

Mit Blick auf die Gleichberechtigung hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Männer ermahnt.

18.01.2019
Frauenwahlrecht
© dpa

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat eine gerechtere Verteilung der Familienarbeit zwischen den Geschlechtern gefordert. Es sei eine wohl unumgängliche Erkenntnis, "dass wir die für unsere Gesellschaft unverzichtbaren Tätigkeiten, die auch heute noch ganz überwiegend Frauen unbezahlt verrichten, anders aufteilen müssen: Kindererziehung, Hausarbeit, Pflege", sagte Schäuble in der Feierstunde des Bundestags zu 100 Jahren Frauenwahlrecht.

Die Männer müssten an diesen Umstand "gelegentlich mit Nachdruck erinnert werden", räumte er ein. "Erst wenn Frauen und Männer wirklich frei entscheiden können, wo sie die Prioritäten in ihrem Leben setzen wollen, ohne auf Beruf oder Familie oder gesellschaftliches Engagement zu verzichten, ist das Ziel erreicht."

Schäuble sagte, mit dem Jahrestag werde heute etwas Selbstverständliches gefeiert. Frauen könnten sich wie Männer an der Gestaltung von Staat, Politik und Gesellschaft beteiligen. Gleichzeitig betonte er, der Wandel der allgemeinen Vorstellungen über die Rolle der Geschlechter habe lange gedauert – und dauere an. Denn es gebe bei der Gleichstellung noch einiges zu tun - "nicht zuletzt in Politik und Parlament". Schäuble verwies auf den zuletzt gesunkenen Anteil von Frauen im Bundestag, "ihre unterdurchschnittliche Beteiligung in allen Parteien, die viel zu geringe Zahl von Bürgermeisterinnen und Landrätinnen". Zwar gebe es eine Bundeskanzlerin und weitere Frauen in Spitzenpositionen, aber: "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer."

"Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist ein unaufgebbarer Grundsatz unserer Verfassung", mahnte Schäuble. Dies müssten alle akzeptieren, "die Teil dieser Gesellschaft sein wollen" - auch diejenigen, denen dieser Anspruch "aus kulturellen oder religiösen Gründen fremd ist".

Die früheren Spitzenpolitikerinnen Rita Süssmuth (CDU) und Christine Bergmann (SPD) forderten eine stärkere Anerkennung für Frauen im Osten. Ihre Leistung sei unterschätzt, sagte die frühere Bundestagspräsidentin Süssmuth. Bergmann kritisierte, in nahezu allen Berichten über Frauen finde man ausschließlich den westdeutschen Blick. Der ostdeutsche sei ein anderer, komme aber nicht vor.

Süssmuth, die 1985 auch erste Frauenministerin wurde, würdigte den Einsatz der Frauen in der früheren DDR für eine Ergänzung des Artikels 3 im Grundgesetz, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festschreibt. Seit 1994 schreibt er auch vor: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."

Die frühere Bundesfamilienministerin Bergmann sagte, bei der Wiedervereinigung seien sehr unterschiedliche Frauen- und Familienbilder zusammengekommen. 1989 seien knapp 90 Prozent der Frauen im Osten erwerbstätig gewesen, meist in Vollzeit. Im Westen seien 1990 54 Prozent der Frauen, oftmals in Teilzeit, berufstätig gewesen. Im Osten hätten erwerbstätige Mütter nicht als "Rabenmütter" gegolten und sie hätten sich gleichberechtigt gefühlt. Es habe einen "Gleichstellungsvorsprung" gegeben, sagte Bergmann und forderte dafür Anerkennung.

"Für echte Gleichstellung streiten"

Das aktive und passive Wahlrecht für Frauen in Deutschland war am 12. November 1918 verkündet worden. Die erste Wahl, bei der Frauen stimmberechtigt und wählbar waren, war die zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919.

Vor der Feierstunde hatte bereits Bundesfamilienministerin Franziska Giffey einen höheren Frauenanteil in der Politik angemahnt. "Frauen sind die Hälfte des Volkes und müssen auch entsprechend vertreten sein. Deshalb ist es an der Zeit für Parität in den Parlamenten", sagte die SPD-Politikerin der "Rheinischen Post". Gleichberechtigung sei nicht nur eine Frage von Recht und Gerechtigkeit, sondern auch von einer modernen und zeitgemäßen Gesellschaft, sagte Giffey. "Aber für eine echte Gleichstellung müssen wir noch streiten. Da geht es um gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, um Wertschätzung und Anerkennung der sozialen Berufe und um spürbar mehr Frauen in Führungspositionen - sei es in der Wirtschaft oder in der Politik", so die Ministerin.

stu/se (dpa, epd)