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Die Menschen 
nicht allein lassen

30 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl helfen viele deutsche Initiativen weiterhin, die Folgen zu bewältigen.

Petra Schönhöfer, 13.04.2016

Wildpferde grasen im Schatten des Reaktors Nummer 4, manchmal auch Bisons. Ein Idyll, das trügt: 30 Jahre nach der Katas­trophe im Atomkraftwerk von Tschernobyl messen Geigerzähler dort immer noch radioaktive Strahlung. Alle Menschen, die in einem Umkreis von 30 Kilometern um das Kraftwerk lebten, mussten im April 1986 ihre Häuser verlassen. Der damals eilig über den Trümmern errichtete Sarkophag bröckelt. Eine neue Schutzhülle soll das Bauwerk stabilisieren. Mit dem „Chernobyl Shelter Project“ haben sich die G7-Staaten zur Fertigstellung bis 2017 verpflichtet. Die Finanzierung konnte im Rahmen einer außerordentlichen Geberkonferenz im April 2015 unter deutschem Vorsitz gesichert werden. Gemeinsam mit der EU stellen die G7-Staaten 165 Millionen Euro bereit. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) übernimmt weitere 350 Millionen, Drittstaaten haben 48 Millionen zugesagt.

Der technische Umgang mit den Langzeitfolgen ist das eine, die Unterstützung der betroffenen Menschen das andere. So entstanden unmittelbar nach der Katastrophe in Deutschland viele Vereine, die auch heute noch aktiv sind. Einen der ersten gründeten 1991 Dietrich und Irmgard von Bodelschwingh: „Heim-statt Tschernobyl“. Eine Begegnung mit Strahlenopfern 1990 in einem Krankenhaus in Belarus löste bei dem Ehepaar Bestürzung aus: „Wir standen vor den Betten verstrahlter Kinder und ahnten das Ausmaß ihrer Erkrankung. Wir wussten, dass es in Deutschland viele Initiativen gibt, die Kinder zu Erholungsaufenthalten nach Deutschland holen. Wir kannten aber auch die Probleme dieser Kinder, wenn sie zurück in die verstrahlte Heimat fuhren.“

Sie organisierten ein Umsiedlungsprogramm, bei dem deutsche Helfer und betroffene Familien gemeinsam Häuser bauen. Jeden Sommer treffen sie sich für drei Wochen in Belarus und errichten im nicht verstrahlten Norden neue Unterkünfte. Das gemeinsame Arbeiten mit bisher rund 1500 Freiwilligen stiftete viele Freundschaften.

Das Engagement von „Heim-statt Tschernobyl“ steht dabei beispielhaft für viele andere Initiativen. So setzen sich etwa 6500 deutsche Ärzte, Medizinstudierende und Fördermitglieder über die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) für eine friedliche und atomtechnologiefreie Welt ein. Bereits vor der Katastrophe von Tschernobyl, im Jahr 1985, bekamen die IPPNW dafür den Friedensnobelpreis.

Sichtbar wird deutsches Engagement auch im 1994 nahe Minsk eröffneten Gesundheits- und Bildungszentrum „Nadeshda“. Das weißrussisch-deutsche Projekt kümmert sich um junge Menschen, die von den Langzeitfolgen betroffen sind. Den Verantwortlichen geht es darum, für eine nachhaltige Lebensweise und erneuerbare Energien zu werben. Zu den Förderern gehört der Frankfurter Verein „Leben nach Tschernobyl“. Zum 30. Jahrestag des Reaktorunfalls unterstützt er den Bau einer Solaranlage für das Zentrum, um ein „gesamteuropäisches Zeichen für die Energiewende“ zu setzen. ▪