Zum Hauptinhalt springen

Engagement für Toleranz und friedliches Zusammenleben

Mehrere Initiativen stärken in Berlin den interreligiösen Dialog.

Alice Lanzke, 23.06.2015

Blitzlichtgewitter, gezückte Notizblöcke, Stimmengewirr: Man könnte meinen, vor dem Brandenburger Tor in Berlin würde ein Popstar auftreten, doch die Gruppe, die in die Kameras blinzelt, ist von dem großen Medieninteresse selbst überrascht. Neun jüdische und neun muslimische Religionsvertreter haben sich zusammengefunden, um auf Tandems gemeinsam durch die Stadt zu radeln und so ein Zeichen gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu setzen.

Die symbolträchtige Fahrt bildete Ende März 2015 den Abschluss der Fahrradschau „Berlin Bicycle Week“ und wurde unter anderen vom Projekt „meet2respect“ initiiert, in dessen Rahmen Rabbiner und Imame zusammen Schulen besuchen. Zu den Teilnehmern gehörte auch Ender Çetin, Vorstandsvorsitzender der Berliner Şehitlik-Moschee. Für ihn ist der interreligiöse Dialog eine Selbstverständlichkeit, die allerdings „von der Mehrheitsgesellschaft leider nicht wahrgenommen wird. Eine Radtour wie heute ist wichtig, um zu zeigen, wie selbstverständlich der interreligiöse Dialog für uns ist.“ Imam Çetin weiß wovon er spricht: Er engagiert sich auch in der interreligiösen Initiative „Salaam-Schalom“, die sich in Berlin für ein friedliches Miteinander der Religionen und Kulturen einsetzt. Den Anstoß dafür gab ein antisemitischer Überfall auf Rabbiner Daniel Alter: Dieser war 2012 von Jugendlichen verprügelt worden. Initiativen wie „Salaam-Schalom“ oder das Projekt „meet2respect“ entstanden als Antwort auf die folgende öffentliche Debatte.

Bei der Fahrradtour teilte sich Alter nun ein Tandem mit Imam Ferid Heider – beide kennen sich bereits gut von den „meet2respect“-Schulbesuchen. Seit 2013 finden diese als Projekt des gemeinnützigen Vereins „Leadership Berlin – Netzwerk Verantwortung“ statt. Dessen Projektleiterin Susanne Kappe führt aus, dass der Verein gesellschaftliche Verantwortung im Führungsbereich fördern wolle. Mittlerweile gab es bereits ein Dutzend Klassenbesuche, vor allem an Schulen mit vielen Kindern nichtdeutscher Herkunft. „Die Imame legen den Kindern und Jugendlichen dar, dass sich Antisemitismus auf Grundlage des Islam nicht rechtfertigen lässt“, erklärt Kappe. Stattdessen würden die interreligiösen Tandems mit ihrem freundschaftlichen und vertrauten Miteinander eine Vorbildfunktion erfüllen. „Wir zeigen den Schülern konkret, dass Rabbiner und Imame Freunde sein können“, so Ferid Heider. Nachdem sie ihre persönlichen Beweggründe erklärt hätten, würden sie mit den Schülern über ihre Diskriminierungserfahrungen sprechen und sich deren Fragen stellen. „Das reicht von ‚Was tragt ihr denn da auf dem Kopf?’ bis hin zu ‚Warum esst ihr kein Schweinefleisch?’“, berichtet er. Damit die Gespräche Nachhaltigkeit entwickeln, werden die Klassen zudem eingeladen, eine Moschee und eine Synagoge zu besuchen.

Die Reaktionen auf das Projekt sind durchweg positiv: „Wir haben viel mehr Anfragen von Lehrern, als wir bedienen können“, so Susanne Kappe. Da „Leadership Berlin“ ein kleiner Verein sei und die geistlichen Vertreter die Klassengespräche ehrenamtlich führten, könne derzeit nur ein Unterrichtsbesuch pro Monat bewältigt werden. Neben den jüdisch-muslimischen Tandems würden zudem gemeinsame Schulbesuche von Pfarrern und Imamen organisiert sowie Begegnungen zwischen Muslimen und Schwulen und Lesben. „Häufig wird der Islam zu Unrecht als erstes mit Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Extremismus gleichgesetzt“, beschreibt Kappe. Gerade in der Mehrheitsgesellschaft herrsche ein Bild vom Islam als Problemursache vor: „Stattdessen sollte der organisierte Islam mit seinen Wirkmöglichkeiten als Teil der Problemlösung betrachtet werden.“

Tatsächlich geht es bei „meet2respect“ nicht nur um Antisemitismus, sondern um jedwede Form von Diskriminierung. „Dazu gehört auch antimuslimischer Rassismus“, betont Imam Heider. Für ihn selbst habe sich durch das Projekt der Kontakt zu jüdischen Vertretern intensiviert. Beide Seiten würden sich annähern – nicht zuletzt durch Aktionen wie der gemeinsamen Fahrradtour. Dabei gehörte das Tandem aus ihm und Daniel Alter zu den eingespieltesten Teams: Die Fahrt verlief so reibungslos, dass sogar noch Zeit blieb, die Plätze zu tauschen. Rabbiner Alter versteht das durchaus symbolisch: „Auf einem Tandem geht es um Kooperation. Da ist egal, wer vorne sitzt: Wir fahren ohnehin in die gleiche Richtung.“