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„Ohne Sehnsucht 
gibt es keine Heimat“

Der deutsch-irakische Autor Abbas Khider nimmt in seinem Roman „Ohrfeige“ den Blick eines Asylsuchenden auf Deutschland ein. Im Interview spricht er über sein eigenes Ankommen und Erinnerungen.

28.07.2016

Herr Khider, Sie flohen 1996 aus dem Irak und erhielten im Jahr 2000 als politischer Flüchtling in Deutschland Asyl. Nach dem Ende des Irak-Kriegs kehrten Sie noch einmal in den Irak zurück.

Ja, es war mein Traum, das Land mit aufzubauen. Doch ich war etwas naiv, die Erfahrung war eine Niederlage. Einmal fuhr ich in Bagdad mit dem Bus, ich wollte meine Schwester besuchen, Überall war Stau, Panzer, Rauch – es war kurz nach dem Krieg. Aber unser Busfahrer hörte romantische Musik und er sang mit. Ich bewunderte ihn dafür, dass er diese Zerstörung ignorieren und singen kann. Als ein Taxi sich dem Bus in den Weg stellte, schaltete der Busfahrer die Musik aus, holte unter dem Sitz eine Pistole hervor, stieg aus und schoss dem Taxi in die Reifen. Danach stieg er seelenruhig wieder ein, machte die Musik wieder an und sang einfach weiter. Dieses Erlebnis vermittelt einen Eindruck meiner Erfahrung; die Diktatur, das Embargo und die Kriege haben viel zerstört in den Seelen der Menschen. Ich bin weggegangen und habe fast vollständig aufgehört Arabisch zu sprechen, zu schreiben oder arabische Musik zu hören.

Vermissen Sie nichts?

Was sollte ich vermissen? Die Kriege? Die Hinrichtungen auf der Straße? Die Bomben? Zwei Jahre Folter? Heimat ist für mich ein Luxusbegriff von Menschen, die ihre Heimat niemals richtig verloren haben. Ich habe keine Sehnsucht mehr und ohne Sehnsucht gibt es keine Heimat. Ich habe schöne Erinnerungen an meine Familie, an Menschen. Aber die habe ich überall.

Wie gehen Sie mit Erinnerungen um?

Innerlich bin ich wie ein Diktator: Ich öffne nur die die Türen, die ich öffnen will. Das habe ich im Lauf der Zeit gelernt. Denn die Vergangenheit ist voll von Leichen und Blut. Wenn ich alle Türen gleichzeitig öffnen würde, schaffte ich es nicht mehr, irgendetwas in der Gegenwart zu tun. Wenn ich ein Buch schreibe, schließe ich eine Tür der Vergangenheit.

In Ihrem Roman „Die Orangen des Präsidenten“ beschreiben Sie die Folter in einem irakischen Gefängnis. Eine Erfahrung, die Sie selbst erleiden mussten.

Im Gefängnis wurde man in der Untersuchungsphase monatelang verhört und gefoltert. Zwischen den Verhören sitzt man mit verbundenen Augen und in Handschellen in der Zelle. Meine Methode war es, zu schlafen und damit außerhalb des Gefängnisses zu sein, bei der Familie. Man schläft, dann wacht man auf und da warten sie auf einen. Ich wusste damals oft nicht, was Realität und was Traum ist. Es gibt Orte, an denen man sich nicht befinden soll, und ich will sie nicht mehr erinnern. 

Die Protagonisten Ihrer Bücher leiden unter dem Gefühl des Ausgeliefertseins. So auch Karim in Ihrem jüngsten Roman „Ohrfeige“. Was raten Sie Geflüchteten, die dieses Gefühl gut kennen?

Gib niemals auf – es gibt immer Hoffnung! Flüchtlinge denken oft, dass sie es nur nach Deutschland schaffen müssten und dann alles gut sei. Das trifft nicht zu, aber sie sind in Sicherheit und sie haben Chancen. Die Realität mag hart sein, aber sie ist nicht härter als der Albtraum, aus dem sie kommen. Diese Menschen brauchen nicht viel, außer dass man sie wie Menschen behandelt. Als ich damals nach Deutschland kam, lebte ich in Asylbewerberunterkünften und fast ein Jahr lang in einem Obdachlosenheim, es halfen die Caritas und einige alte Damen. Dass Jugendliche sich engagierten oder Politiker die Unterkünfte besuchten, habe ich nicht erlebt. Ich finde es toll, dass diese Menschen heute helfen, doch es wäre Aufgabe des Staates, diese Hilfe zu leisten.

Würde es den Geflüchteten helfen, vorher mehr über das Exilland – Deutschland – zu wissen?

Nein, ohne diese Illusion würden sie die Flucht vielleicht nicht überstehen. Sie wollen nur ankommen, gerettet werden. Das Exil hat für mich drei Phasen: Die erste ist die härteste. Du vermisst alles, die Mutter, die Schwester, die Freunde, plötzlich ist alles schön in der Heimat. Musik, die man zu Hause nie hören würde, mag man plötzlich. Das Exil macht die Heimat schöner. Es gibt Menschen, die vermutlich jahrelang oder das ganze Leben in dieser Phase bleiben. Die zweite Phase beginnt, wenn man neue Träume und Ziele entworfen hat und ein neues Leben in der Fremde führen kann. Dafür braucht man allerdings die nötigen Papiere. Wenn man diese Chancen nicht hat, dann lebt man in der Vergangenheit. Die dritte Phase gelingt, wenn man aus dem Exil ein Projekt macht. Indem ich das Exil als Projekt sehe, verlasse ich die Passivität und entscheide, ich gestalte das Exil. Es braucht aber Glück dazu. 

Wollten auch Sie manchmal aufgeben?

Das passiert oft. Man will die Augen schließen, damit alles vorbei ist. Ich glaube, das Gefühl kennt jeder. Und man bleibt immer auch der Andere. Wenn ich auf meinen Lesereisen bin, treffe ich bei den Veranstaltungen unheimlich nette Menschen. Es macht mir sehr viel Freude, sie zu treffen. Erstaunlicherweise habe ich es tagsüber aber oft mit anderen Menschen zu tun. Im Zug, am Bahnhof oder Flughafen, habe ich vor allem mit Polizeikontrollen zu tun und dann bin ich der Fremde. Wie bringt man das zusammen, das ist sehr melancholisch.

Vermischt sich das nie? Gab es nicht irgendwann einmal einen Polizisten, der sagte: Herr Khider, ich kenne Sie, ich kenne Ihr Buch?

Nein. Ein Schaffner hat mich einmal erkannt, aber kein Polizist. Wenn das eines Tages passiert, schreibe ich ihm ein Gedicht! Ich habe aber insgesamt viel Glück gehabt und ich habe unheimlich viele Menschen getroffen, die mich unterstützt haben und mich an das Gute im Menschen glauben lassen. Für diese Menschen schreibe ich. ▪

 

Interview: Katharina Kretzschmar

 

Der 1973 in Bagdad geborene Autor Abbas Khider setzt sich in seinen Büchern mit der Zerstörung des Individuums durch das System auseinander. Seine Protagonisten befinden sich in Gefangenschaft („Die Orangen des Präsidenten“), auf der Flucht („Der falsche Inder“) und im Exil („Brief in die Auberginenrepublik“). In seinem aktuelle Roman „Ohrfeige“ lernt der Leser durch den jungen Iraker Karim die Fallen der deutschen Bürokratie kennen.