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Vier Gesichter, vier Geschichten

Sie kommen aus Israel, sie leben – zumindest für eine Zeit – in Deutschland, und sie engagieren sich für Begegnung und Austausch

Elena Witzeck, 26.11.2019
© Manfred Werner/Tsui CC BY-SA 3 - Michael Ronen

Tikva Sendeke

Das Gebäude liegt idyllisch am Großen Wannsee. Wer seine Geschichte nicht kennt, könnte sie nicht erahnen. Dort, im Haus der Wannseekonferenz, planten die Nationalsozialisten den Holocaust. Und dort arbeitet Tikva Sendeke aus Israel, die Wurzeln in Äthiopien hat. Die 26-Jährige führt Besucher durch die Ausstellung in der Villa. Nicht jeder, der ihr durch diese Räume folgt, versteht, warum die Jüdin Freiwilligendienst in Deutschland leistet. Und dann gerade an diesem Ort. Aber Sendeke war neugierig. Als Bloggerin berichtet sie auch über ihre Erfahrungen als Angehörige einer jüdischen Minderheit. „Die Herausforderung ist, ich selbst zu sein, ohne einen Teil meiner Identität zu verstecken“, sagt sie. Als sie die Möglichkeit entdeckte, einen Freiwilligendienst in Berlin, einem der multikulturellsten Orte der Welt, zu machen, sei es für sie gewesen, als ob sich ein Kreis schließe. „Früher hatte ich mich dagegen gesträubt, etwas über den Holocaust zu lernen“, sagt sie. Jetzt sei es ihre eigene Wahl gewesen. Wenn sie israelische Besucher heute nach ihrer Beziehung zum Holocaust fragen, antwortet sie: „Ich bin Jüdin. Er ist Teil meiner Geschichte.“

Tal Alon

Dass die Journalistin Tal Alon nach Berlin kam, ist ihrem Mann zu verdanken. Den Künstler reizte die Szene der Hauptstadt, und so zog das Paar mit zwei Kindern 2009 von Israel nach Deutschland. Sie lernte Deutsch und arbeitete als für israelische Medien, als ihr der Gedanke kam, dass für die große israelische Community in Berlin, eine journalistische Plattform fehlte. So entstand 2012 das hebräische Magazin „Spitz“. Es gibt israelischen Einwanderern kulturelle, politische und soziale Orientierung und funktioniert als praktischer Wegweiser für den Alltag in Berlin. Bis vor Kurzem erschien das Heft zweimonatlich gedruckt. Seit März 2016 ist es ein reines Online-Magazin, finanziert durch Spenden und Anzeigen. „Spitz ist ein Symbol für unsere Berliner Kultur“, sagt Alon. Einige Berliner hätten sie schon gefragt, ob eine deutsche Version geplant sei. Ob es dazu kommt, weiß sie noch nicht. Sie hat noch gar nicht entschieden, ob sie in Deutschland bleiben will. Aber in der Zwischenzeit gibt es noch genug zu tun.

Oz Ben David

In einer Holzhütte über dem S-Bahn-Ring am Prenzlauer Berg gibt es den besten Hummus Berlins. Das sagen zumindest diejenigen, die dort gewesen sind, auch wenn es oft gar nicht der Grund für ihren Besuch war. Die meisten Gäste kommen aus Neugier, schließlich wird das „Kanaan“ von einem jüdischen Israeli und einem muslimischen Palästinenser betrieben. Eigentlich sollte der Unternehmensberater Oz Ben David (im Foto rechts) nach seiner Ankunft in Deutschland große Firmen beraten. Aber dann war da Jalil Dabit, Sohn palästinensischer Gastwirte mit seinen Ideen, Berlin kulinarisch zu bereichern. Und Ben David, der für sein Leben gern kocht, ließ sich mitreißen: „Wir hatten keine Wahl. Es gab einfach keinen guten Hummus in Berlin.“ Also schufen die beiden einen Ort, an dem Syrer, Palästinenser, Israelis und Libanesen den Geschmack der Heimat erleben können. Ein Restaurant, in dem Differenzen bei Fladenbrot, Shakshuka und Sesampaste schnell vergessen sind. Dabei böte schon das Essen genug Konfliktpotenzial. Allein der Hummus: ein Gericht, das Palästinenser, Libanesen, Ägypter und Israelis jeweils für sich beanspruchen. Aber im „Kanaan“ verbindet das Essen die Menschen. Immer wieder organisiert Oz Ben David Kochveranstaltungen mit Flüchtlingen, bei denen Gerichte aus Syrien und anderen Konfliktregionen zubereitet werden und die Gäste die dazugehörigen Geschichten erfahren. Manchmal gibt es Livemusik, manchmal werden traditionelle, fast vergessene Feste wiederbelebt. „Eigentlich tue ich nur, was meine Umgebung sich wünscht“, sagt Ben David. „Die Menschen um uns herum wollen genau das.“

Michael Ronen

Warum sollte ein Theaterregisseur die virtuelle der realen Welt vorziehen? Vielleicht, weil sie sich näher seien können, als man denkt. Michael Ronen kommt aus Jerusalem. Er studierte Regie an der London Academy of Music and Dramatic Arts, arbeitete in London und in Israel, zog vor neun Jahren nach Berlin. Und erfand „Splash“: die erste App, mit der 360-Grad-Videos auf dem Smartphone aufgenommen, in sozialen Netzwerken geteilt und mit einem Virtual Reality-Gerät wie dem Google Cardboard aus Pappe angesehen werden können. Ihre Nutzer erschaffen Inhalte selbst, das war Ronen wichtig. Er hat die App natürlich gleich auf seinem Terrain, im Berliner Gorki Theater, getestet. Theaterstücke können mit Splash aus unterschiedlichen Perspektiven gesehen werden – mal als Besucher, mal als Regisseur oder Schauspieler. „Das geht aber auch im Familienurlaub“, sagt Ronen. Jeder, der ein Smartphone habe, könne Informationen weitergeben und so Eindrücke vermitteln, auch mittels Augenzeugenberichten in politischen Krisen. Ronens Team ist sehr international, seine Mitarbeiter kommen aus Israel, den USA, Deutschland, Rumänien. Beim amerikanischen Tech-Festival South By South West in Austin hat das Startup 2016 den begehrten Gründerwettbewerb gewonnen. Anderen Unternehmensgründern empfiehlt Ronen, viel zu wagen und Visionen zu haben.