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Voneinander lernen

Was deutsche und niederländische Städte bei der Integration von Flüchtlingen erleben – und was das mit der Krise der EU zu tun hat.

Helen Sibum, 18.01.2017
© dpa/von Jutrczenka - Foreign Ministers Steinmeier (l.) and Koenders (r.)

Zum Beispiel Mössingen. Die Kleinstadt am Fuß der Schwäbischen Alb hat rund 20.000 Einwohner, in jüngster Zeit sind 326 Flüchtlinge hinzugekommen. Wie gelingt ihr Einstieg in den neuen Alltag – was läuft gut, was nicht? Boris Kühn, Flüchtlings- und Integrationsbeauftragter der Stadt, zeichnet beim Deutsch-Niederländischen Forum in Berlin ein gemischtes Bild. Es gebe viele Erfolge, doch weiterhin auch erhebliche Herausforderungen.

So lebten nach wie vor zu viele Flüchtlinge in großen, zentralen Unterkünften statt in Wohnungen –  selbst dann, wenn ihr Antrag auf Asyl genehmigt ist. Während ihres Asylverfahrens gerieten sie zudem oft in ein „Labyrinth der Bürokratie“. Was Kühn jedoch besondere Sorge bereitet, ist der mangelnde Zugang zum Arbeitsmarkt. Nur etwa jeder fünfte der seit 2014 in Mössingen lebenden Zuwanderer habe einen festen Job oder sei in Ausbildung. Und selbst die wenigen erfolgreichen Vermittlungen seien fast alle durch ehrenamtliche Helfer zustande kommen, nicht durch die Behörden.

Mehr als 200 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Bildung

Was Städte wie Mössingen und Gemeinden in den Niederlanden voneinander lernen können –  darum geht es beim Deutsch-Niederländischen Forum. Migration und Integration sind 2017 die Themen des Treffens. Mehr als 200 Vertreter aus Politik, Diplomatie, Wirtschaft und Bildung kamen in Berlin zusammen, um sich darüber auszutauschen. Schon seit Anfang der 1990er-Jahre sorgt das Forum für den direkten Dialog zu aktuellen Themen.

Das Thema Integration beschäftigt auch Wil Houben, Bürgermeister der Gemeinde Voerendaal. Der Ort im Süden der Niederlande hat ebenfalls Flüchtlinge aufgenommen – und mit dem besonderen Engagement seiner Bürger auf sich aufmerksam gemacht. Die Schwierigkeiten, die Kühn beschreibt, kann Houben nachvollziehen. In den Niederlanden halte sich der bürokratische Aufwand allerdings in Grenzen. Dies liege, so räumt Houben ein, auch an den geringeren Zahlen und den besser überschaubaren Strukturen. Die niederländischen Provinzen können weniger mitreden als die deutschen Bundesländer, das meiste wird von Den Haag aus geregelt. Die Abläufe seien klar: Während ihres Asylverfahrens leben die Flüchtlinge in zentralen Unterkünften, danach werden sie gleichmäßig auf die Kommunen verteilt. Die wiederum sind verpflichtet, ihnen eine Wohnung zuzuweisen. Weil es in niederländischen Städten deutlich mehr sozialen Wohnungsbau gibt – etwa 40 bis 50 Prozent der Wohnungen sind staatlich gefördert – gelingt das deutlich besser.

Kleine Denkanstöße, große Fragen

Es sind kleine Denkanstöße wie dieser, von denen das Forum lebt. Daneben ging es bei dem Treffen aber auch um die großen Fragen – nicht nur des deutsch-niederländischen Verhältnisses. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern seien heute gut, so Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung gemeinsam mit seinem niederländischen Amtskollegen Bert Koenders (Foto). Von einem negativen Deutschlandbild in den Niederlanden – damals einer der Gründe für das Entstehen des Forums – sei heute nicht mehr viel zu spüren. Sorgen bereitet Steinmeier dagegen die Entwicklung in Europa. „Die EU ist in der tiefsten Krise seit ihrem Bestehen. Dabei brauchen wir sie heute dringender denn je.“

Im Gespräch mit jungen Teilnehmern des Forums gingen Steinmeier und Koenders auch auf den erstarkenden Nationalismus und Rechtspopulismus in Europa ein. Im März 2017 wird in den Niederlanden gewählt, die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders liegt in Umfragen vorn. „Wir werden verlorenes Terrain zurückgewinnen“, gab sich Koenders zuversichtlich, diesen Trend noch zu drehen. Steinmeier wies darauf hin, Europa sei „im Zuspitzungsmodus“, dabei lebe Demokratie vom Kompromiss. Deutschland und die Niederlande sollten gemeinsam für Ausgleich sorgen. „Wir müssen den Kampf um die Verteidigung der Vernunft antreten.“

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