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Unterwegs auf der Käsestraße

Entlang der Käsestraße verkaufen Kleinerzeuger ihre Delikatessen.

Martin Schwarz, 19.06.2013
Käse, cheese
© picture-alliance/Rech - Käsestraße

Wie sollte es möglich sein, bei Käse nicht gleich an Frankreich zu denken? An die großen Monumente der Käsekultur wie Chaource, Brillat-Savarin, Camembert de Normandie, Livarot, Brie de Meaux, Comté. Und an die dazugehörigen Landschaften wie etwa das französische Jura ganz im Osten im Grenzgebiet zur Schweiz, wo eine ganze Region sich neben dem Wein vor allem der Käseproduktion verschrieben zu haben scheint. Und überhaupt, wo gibt es das in Europa, dass die Bauern einer ganzen Region kooperativ an einem Strang ziehen, um an der Herstellung von wenigen, dafür auserlesenen Spezialitäten mitzuwirken. In Italien, ja, in den Niederlanden und der Schweiz auch, vielleicht noch in Spanien.

Und in Deutschland? In Deutschland sieht es anders aus. Es gibt ja nicht einmal einen Käse, den man als nationales Kulturgut betrachten könnte. Durchaus hätte es so etwas geben können, der Tilsiter, kreiert im 18. Jahrhundert, hätte als Inbegriff eines maritimen Käses das Potenzial für mehr 
gehabt, wurde aber im 20. Jahrhundert mangels Markenschutzes zum industriell erzeugten Allerweltsprodukt degradiert. Anders als in Frankreich gibt es keine deutschen Käse, die über Jahrhunderte entwickelt und verfeinert wurden, Rezepte, die über Generationen weitergegeben worden sind, verteidigt gegen alle Widerstände und Interventionen der Käse-Großindustrie. Und die dann zu Marken wurden, die sowohl im In- als auch im Ausland leicht zu finden sind.

Und doch: In der deutschen Käselandschaft hat ein Umschwung eingesetzt. Von einer Diaspora im internationalen Wettbewerb kann nicht mehr die Rede sein. Das ist das Verdienst von zahlreichen kleinen Biokäsereien, die in den letzten beiden Jahrzehnten entstanden sind. Sie hatten den Mut zu mehr Rohmilchkäsen und längerer Käsereifung, mit zum Teil exzellenten Erzeugnissen. Die vielen Kleinerzeuger arbeiten jedoch mehr oder weniger als Direktvermarkter. So kommt es, dass selbst die feinsten Erzeugnisse einen höchst beschränkten Verbreitungsgrad haben. In Deutschland kommt der Käse nicht zu den Kunden. Die Kunden müssen schon zum Käse fahren. Zum Beispiel nach Schleswig-Holstein. Aber das lohnt sich. 1998 wurde hier die Käsestraße Schleswig-Holstein ins Leben gerufen. „Kaum jemand wusste um die vielen Köstlichkeiten aus dem Norden“, erklärt Detlef Möllgaard, einer der Initiatoren, der in der Folge in Hohenlockstedt den „Meierhof Möllgaard“ gründete, wo er die Schätze der Region gebündelt anbietet. Heute reihen sich rund 30 bäuerliche Hofkäsereien entlang der Käsestraße. „Fast alle sind in den neunziger Jahren entstanden“, ergänzt Möllgaard. Und die Voraussetzungen sind bei viel Land und wenig Mensch ja auch ideal. Zum Beispiel im Landstrich der Geest, die sich zwischen der dänischen Grenze und Hamburg erstreckt, mit Wald und Heideformationen und viel Grünland, das von kleinen Wällen rhythmisiert wird. Darauf wachsen die sogenannten Knicks, Busch- und Strauchhecken, die den Wind brechen. Sie verhindern, dass der Sand über das Weideland gewirbelt wird.

Davon profitiert zum Beispiel das mit über 200 Kühen schon recht stattliche Hofgut 
Backensholz bei Oster-Ohrstedt. Eines seiner Vorzeigeprodukte ist der Backensholzer Deichkäse. In der Variante „Gold“ zeigt er sich als ein zwischen 14 und 16 Monaten 
gereifter Hartkäse aus Kuh-Rohmilch von herausragender Güte. Sein blumiger Geschmack lässt die Sommerwiese ahnen, auf dem die Kühe gegrast haben. Ein Käse mit weichem Nachhall, nobel in jeder Hinsicht.

Landschaftlich vielleicht noch eindrucksvoller ist die Gegend um die Gemeinde Sorgwohld. Sie liegt zwischen dem Ochsenweg, einer alten Handelsstraße, auf der früher das Mastvieh nach Hamburg getrieben wurde, und den Sorgwohlder Binnendünen. Es ist das Gebiet der Hohen Geest, wo sich Heide, Moor, Feldgehölze, Knickswäldchen sowie Rotfichten so munter abwechseln, dass es die Menschen zum Radfahren, Wandern und Picknicken hierher zieht. Und zum Besuch des Milchschafhofs Solterbeck. „Wir wohnen dort, wo andere Urlaub machen“, sagt Ina Solterbeck, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Hofes, der über etwa 150 Schafe verfügt.

Die langbeinigen friesischen Milchschafe, mal weiß, mal schwarz, mal schwarz-weiß gefleckt, vervollständigen das vitale Bild der Landschaft, wenn sie von Ende Februar bis November auf den kleegrasgrünen Fel­dern grasen. Und sie ergänzen die schleswig-holsteinische Käseplatte zum Beispiel durch den jungen Hirtenkäse, der mindes­tens acht Wochen auf dem Biohof reift, oder den alten Hirtenkäse, der ab einer Reifezeit von zwölf Monaten auf den Markt kommt. „Er ist in etwa vergleichbar mit einem Pecorino“, meint Ina Solterbeck. Köstlich ist vor allem der feine Salzhintergrund bei diesem Erzeugnis. „Das sind alles Käse mit Abgang“, meint Möllgaard dazu und öffnet damit eine naheliegende Verbindungstür zum Geschmackserlebnis Wein. So müssen die kleinen Kunstwerke des Nordens auch behandelt werden, als wertvolle Lebensmittel und nicht als einfacher Brotbelag. „Einen richtigen Fahnenträger, der die Region repräsentiert wie beispielsweise der Camembert die Normandie, wird es aber so schnell wohl nicht geben“, zeigt sich Möllgaard skeptisch. „Aber in der Vielfalt der Spezialitäten zwischen Nord- und Ostsee, egal ob es sich um Holsteiner Bergkäse, Ostenfelder Bio-Tilsiter oder Ziegencamembert handelt, haben wir das Allgäu schon überholt.“

Das ist eine Ansage. Denn das Allgäu, ganz im Süden Deutschlands, gilt immer noch als der große Leuchtturm im Land, wenn es um die Spitzenklasse deutscher Käseproduktion geht. Das liegt zum einen daran, dass „Allgäuer Bergkäse“ zu den wenigen deutschen Molkereiprodukten mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung gehört. Zum anderen ist es mittlerweile hier schon guter Ton, die Spitzenprodukte wirklich lange reifen zu lassen. Für einen Bergkäse von der Bergkäserei Steibis in Ober­staufen sind 24 Monate Reifezeit fast schon Standard. Und damit nähert man sich ja in gewisser Weise französischen Verhältnissen.

Es tut sich was in Deutschland. Und das nicht nur im Norden und im Süden, sondern im ganzen Land. Vielleicht sind die Deutschen ja doch ganz still und heimlich eine Käsenation geworden. Und vielleicht ist es ja die besondere Marke der heimischen Produktion, dass man die Perlen suchen muss. Im guten Wissen, dass es sie gibt. ▪