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Höhenflug 
mit Hobbypiloten

Die Sharing Economy hat auch den Himmel erobert: Ein deutsch-französisches Start-up will nicht weniger als die europäische Luftfahrt demokratisieren.

Manuel Heckel, 29.09.2016

Von Aalen nach Berlin? Sechseinhalb Stunden mit dem Zug, fünfeinhalb Stunden mit dem Auto – oder zweieinhalb Stunden mit Pilot Bernd an Bord seines Kleinflugzeuges. Auf dem Portal Wingly stellen Privatpiloten ihre Angebote ein, von gemütlichen Rundflügen über die Stadt bis zu direkten Verbindungen zwischen kleineren Landeplätzen. Das deutsch-französische Start-up will mit seinem 2015 gestarteten Angebot die Privatfliegerei vom elitären Image befreien: „Wir wollen die Luftfahrt demokratisieren“, sagt der deutsche Mitgründer Lars Klein.

Die Gründer setzen dabei auf einen Trend: In der Sharing Economy teilen Menschen ihre Güter – seien es Wohnungen, Autos oder eben Flugzeuge. Viele Besitztümer sind teuer in Anschaffung und Unterhalt und werden nur selten genutzt, wirtschaftlich sind sie ineffizient. Die neuen Unternehmen bieten Alternativen: Mit einem Klick findet man Privatzimmer für einen Städtetrip oder bucht eine Mitfahrgelegenheit. Zum vergleichsweise günstigen Preis kommt meist noch eine Provision für die Portalbetreiber.

Klingt einfach und passt zum Zeitgeist. Ganz so problemlos funktioniert die Sharing Economy aber nicht immer. Die Vermietung von Privatzimmern an Touristen etwa wurde in einigen deutschen Städten gesetzlich eingeschränkt. Es könne nicht sein, so sehen es die Befürworter dieser Regelung, dass viele Wohnungen nur an Touristen vermietet werden, während Bürger der Stadt keine Wohnung finden.

Die Wingly-Gründer haben derlei Probleme nicht: Eine EU-Richtlinie sieht vor, dass Privatpiloten ihre Plätze durchaus anbieten dürfen – solange sie keinen Gewinn mit den Zugestiegenen machen. Der Pilot darf nur die Kosten auf die Mitflieger umlegen, spart so in einer viersitzigen Maschine aber immerhin bis zu 75 Prozent seiner Ausgaben ein. Das führt zu Mitflugpreisen von derzeit 50 bis 100 Euro pro Stunde.

„Wir wollen wirklich auf der Freizeitseite bleiben“, sagt Lars Klein. Luftsicherheitsbehörden freuten sich über das Angebot sogar: Weil die Kosten sinken, würden viele Hobbypiloten häufiger in ihre Maschinen steigen, mehr Erfahrung sammeln und den Verkehr am Himmel so sicherer machen. Bis Ende 2016 hoffen die Gründer auf 30 000 registrierte Nutzer und ein paar Tausend Menschen, die sich tatsächlich eine Maschine geteilt haben. Die Wunschstrecke zum Wunschtermin ist natürlich selten dabei, ein „Flugalarm“ soll interessierte Mitflieger deshalb informieren, falls ein Pilot die entsprechende Route einstellt.

Ohne Technik hätten auch Klein und seine französischen Mitgründer Emeric de Waziers und Bertrand Joab-Cornu selbst nicht zusammengefunden. De Waziers und Joab-Cornu wollten als Luftfahrtbegeisterte die hohen Kosten für Hobbyflieger reduzieren. Klein wiederum war von der Idee der Sharing Economy begeistert und suchte nach spannenden Anwendungsfeldern. Die drei trafen sich auf einer Online-Plattform, auf der sich gründungswillige Unter­nehmer tummeln – und merkten schnell, dass eine ­Zusammenarbeit sinnvoll wäre: „Wir hatten dieselbe Vision, wo unser Unternehmen in fünf Jahren stehen soll“, so de Waziers.

Eine Notlandung war jedoch einkalkuliert: Hätten sich die Pläne nach einem halben Jahr nicht erfüllt, hätte man nachjustiert, so die Gründer. Doch eineinhalb Jahre nach dem Start ist die Firma weiter im Steigflug. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bringe Vorteile. „Manchmal gibt es zwar unterschiedliche Arten, Entscheidungen zu treffen“, sagt Klein, „aber im alltäglichen Geschäft hat das keine Auswirkungen.“ Der Hauptsitz des kleinen Teams ist in Paris, für die zunächst angepeilten Märkte Deutschland und Frankreich brachten jeweils die Gründer von dort das Detailwissen über Vertrieb und Marketing mit. Und aus dem Cockpit sind die europäischen Grenzen ohnehin kaum noch auszumachen. ▪