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Ärztin, Therapeutin, Zuhörerin

Elif Cindik-Herbrüggen hat in München zwei medizinische Zentren aufgebaut und setzt sich in ihrer Arbeit besonders für Migranten ein. Ein Porträt.

Canan TopçuCanan Topçu, 23.12.2024
Mehrfach ausgezeichnete Therapeutin: Elif Cindik-Herbrüggen
Mehrfach ausgezeichnete Therapeutin: Elif Cindik-Herbrüggen © privat

Warum ist es so schwierig, sich von Erwartungen anderer abzugrenzen? Wie kann man dafür sorgen, dass psychische und verbundene physische Erkrankungen einen nicht lähmen? Um solche Fragen geht es in Gesprächen, die Elif Cindik-Herbrüggen tagtäglich führt. Die Psychiaterin und Psychotherapeutin hört ihren Patienten zu, um dann professionell zu intervenieren. Als sie sich im Sommer 2010 in München niederließ, war sie dort die erste Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie türkischer Herkunft. Seitdem hat sie viel Geld und Energie investiert und in der bayerischen Landeshauptstadt zwei Gesundheitszentren eröffnet – das Neuro-Psychiatrische Zentrum Riem und das Zentrum für psychische Gesundheit Messestadt. Rund 25 Mitarbeitende mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen und kulturellen Herkünften sind in den beiden Zentren beschäftigt. Cindik-Herbrüggen und ihr Team von Fachärzten und Psychologen helfen Erwachsenen und Jugendlichen auf den Gebieten der Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Sich in der Herkunftskultur der Patienten auszukennen, trägt erheblich zum Behandlungserfolg bei.
Elif Cindik-Herbrüggen, Psychiaterin und Psychotherapeutin

Zu ihrer Arbeit mit Patienten, die wie sie ihre Wurzeln in der Türkei haben, sagt die 54-Jährige: „Es macht einen enormen Unterschied, ob man die Sprache der Patienten spricht und um ihren kulturellen Hintergrund weiß.“ Als in Istanbul geborene und in Deutschland aufgewachsene Tochter einer Gastarbeiterfamilie, ist Cindik-Herbrüggen mit den Biografien dieser Patientengruppe vertraut. „Sich in der Herkunftskultur der Patienten auszukennen und die damit einhergehenden Konflikte und Brüche einordnen zu können, das trägt erheblich zum Behandlungserfolg bei.“

Doktorarbeit an der Harvard University

Ihre Eltern hätten sich aufgrund eines schlimmen Schicksalsschlages nicht gut um sie kümmern können, sagt Cindik-Herbrüggen. Je nachdem, wie man es deuten wolle, könne man sagen, dass sie sehr früh „sehr eigenverantwortlich“ oder mit „vielen Freiheiten“ aufgewachsen sei. „Ich war immer sehr gut in der Schule, das war für meine Eltern sehr wichtig, daher haben sie keinen Druck auf mich ausgeübt.“

Nach dem Abitur, das sie mit einem Notendurchschnitt von 1,3 ablegte, begann sie auf Wunsch ihrer Eltern mit dem Medizinstudium. Eigentlich habe sie Journalistin werden wollen und sich gedacht: „Wenn es mir kein Spaß macht, dann wechsele ich das Studienfach.“ Schon im ersten Semester fand sie aber Gefallen am Arztberuf, sammelte während des Studiums auch im Ausland Berufserfahrungen, lebte drei Jahre in den USA, machte an der Harvard University den Master of Public Health und schrieb ihre Doktorarbeit. 

Familiäre Prägung bei der Berufswahl

Der Beruf ist Cindik-Herbrüggen zur Berufung geworden. Rückblickend stellt sie fest, dass die „Wahl“ ihres Fachgebiets auch mit ihrer Familiengeschichte zusammenhängt. Eine ältere Schwester verunglückte als Achtjährige tödlich. „Meine Mutter gab sich dafür die Schuld und wurde schwerst depressiv“, erzählt Cindik-Herbrüggen. Als Kind und Heranwachsende habe sie ihr nicht helfen können, und als sie ausgebildete Fachärztin wurde, sei es zu spät gewesen, weil die Krankheit sich chronifiziert habe. „Nun versuche ich, stellvertretend alle anderen zu retten“, sagt sie mit leicht selbstironischem Unterton.

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Ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen im Umgang mit Patienten aus anderen Kulturkreisen gibt Cindik-Herbrüggen regelmäßig auf Tagungen und Kongressen weiter, bildet Fach- und Assistenzärzte und weiteres medizinisches Personal aus. Vorträge hält sie auf Deutsch, Türkisch und Englisch. Während der Corona-Pandemie hat sie unter anderem für mehrere türkische Fernsehsender Interviews zu Themen rund um Corona und die psychische Gesundheit gegeben. 

Forderung einer besseren Versorgung von Migranten

„Ich bin ein Workaholic, wenn es erforderlich ist, arbeite ich von montags bis freitags zwölf Stunden am Tag“, sagt die großgewachsene Frau, die seit zwölf Jahren mit einem Herkunftsdeutschen verheiratet ist. In ihrer Freizeit tanzt sie, trifft Freunde zu geselligen Runden und macht Tauchurlaub. 

Es gebe einen enormen Bedarf an Fachärzten wie sie, betont die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Cindik-Herbrüggen. An Patienten mangele es nicht und auch nicht am Behandlungserfolg. Was sie sich wünscht, sind weniger bürokratische Hürden und mehr Wertschätzung durch Institutionen des Gesundheitswesens. Und vor allem, „dass mehr getan wird für die Versorgung von Migranten mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen“.