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80 Jahre Nürnberger Prozesse: Als die Welt Gericht hielt

In Nürnberg begannen im November 1945 die Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes. Sie wurden zum Fundament des modernen Völkerstrafrechts. 

Wolf ZinnWolf Zinn, 12.11.2025
Die Hauptankläger der Alliierten bei den Nürnberger Prozessen, aufgenommen 1946.
Die Hauptankläger der Alliierten bei den Nürnberger Prozessen, aufgenommen 1946. © picture alliance / ZB

Am 20. November 1945, um zehn Uhr, hebt im Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts der Vorsitzende Richter Sir Geoffrey Lawrence den Hammer. Draußen liegen die Straßen in Schutt, die Ruinen des Reichsparteitagsgeländes ragen in den grauen Himmel. Im Gerichtsaal herrscht gespannte Ordnung. Auf der Anklagebank sitzen 21 Männer: ehemalige Minister, Generäle, Parteifunktionäre – die politische und militärische Elite des untergegangenen NS-Staates

Unter ihnen Hermann Göring, Reichsmarschall und zweiter Mann im Staat; Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter bis 1941; Joachim von Ribbentrop, Außenminister des Deutschen Reichs; Albert Speer, Rüstungsminister und Architekt des Regimes; sowie Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Adolf Hitler selbst steht nicht vor Gericht – er hatte sich am 30. April 1945 im „Führerbunker“ in Berlin das Leben genommen, ebenso wie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und Heinrich Himmler, Innenminister und Reichsführer SS. 

Vier der Hauptangeklagten (von links): Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Hermann Göring, Wilhelm Keitel (stehend)
Vier der Hauptangeklagten (von links): Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Hermann Göring, Wilhelm Keitel (stehend) © picture alliance / ZB

Rundherum Dolmetscher, Anwälte, alliierte Wachen, Journalisten aus aller Welt. Als der amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson seine Eröffnungsrede beginnt, ist es still im Saal. Seine Worte, über ein neuartiges Simultanübersetzungssystem in vier Sprachen übertragen, gelten bis heute als Grundtext der internationalen Strafjustiz

„Die Verbrechen, die wir bestrafen wollen, sind so kalkuliert, so bösartig, so verheerend, dass die Zivilisation sie nicht ignorieren darf – denn sie könnte ihre Wiederholung nicht überleben.“ 

Die Geburt des internationalen Strafrechts 

Die Wahl Nürnbergs war kein Zufall. Einst Bühne der NS-Massenaufmärsche, symbolisierte die bayerische Stadt den ideologischen Kern des Regimes – und wurde nun zur Bühne des Rechts. Der Justizpalast verfügte zudem über ein angeschlossenes Gefängnis.  

Die vier alliierten Siegermächte – USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion – hatten wenige Monate zuvor im Londoner Statut die rechtlichen Grundlagen geschaffen. Angeklagt wurde wegen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Kategorien, die erst hier, im Herbst 1945, juristische Gestalt annahmen. 

218 Sitzungstage, 236 Zeugen, mehrere tausend Beweisdokumente: Der Prozess war akribisch, oft zermürbend. Am 29. November 1945 zeigte die Anklage einen Film über die befreiten Konzentrationslager – für viele im Saal der erschütterndste Moment.  

Die Reaktionen der Angeklagten schwankten zwischen Trotz, Abwehr und Berechnung. Göring rechtfertigte den Krieg als Verteidigungsmaßnahme und stritt jede persönliche Schuld ab. Auch Heß zeigte keine Reue. Ribbentrop bestritt, von der Ermordung der europäischen Juden gewusst zu haben. Einzig Speer bekannte eine moralische Mitverantwortung.  

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Am 1. Oktober 1946 fällte das Tribunal schließlich seine Urteile: Zwölf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, darunter Göring, Ribbentrop und Keitel. Göring entzog sich der Hinrichtung in der Nacht vor der Vollstreckung durch Suizid. Heß erhielt lebenslange Haft und starb 1987 im Gefängnis Berlin-Spandau. Speer wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Freilassung 1966 inszenierte er sich als „apolitischer Technokrat“, der von den NS-Verbrechen nichts gewusst habe. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass Speer frühzeitig informiert war und Entscheidungen mittrug. 

Das Verfahren war umstritten, etwa bei einigen Politikern und Juristen aus den USA, manche sprachen von „Siegerjustiz“. Doch es begründete einen Präzedenzfall. Denn bei den Nürnberger Prozessen ging es um mehr als individuelle Schuld. Sie machten sichtbar, wie staatlich organisierte Gewalt entsteht. Die Verteidiger argumentierten mit „Befehlsnotstand“ und „Staatsräson“. Doch das Gericht hielt dagegen: Es gebe „Verbrechen, für die es keine höhere Autorität geben kann“.  

Vermächtnis und Gegenwart 

Die „Nürnberger Prinzipien“, 1950 von den Vereinten Nationen kodifiziert, bilden bis heute die Grundlage des modernen Völkerstrafrechts – vom Tribunal für das ehemalige Jugoslawien bis zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sie definieren individuelle Verantwortlichkeit für Völkermord und Kriegsverbrechen. Eine strafrechtliche Ahndung bleibt jedoch meist aus. 

80 Jahre später ist der Saal 600 Teil des Memoriums Nürnberger Prozesse, einer Gedenkstätte und Dauerausstellung. In James Vanderbilts neuem Spielfilm „Nuremberg“ verkörpert Russell Crowe den früheren NS-Führer Hermann Göring, Rami Malek erkundet als amerikanischer Psychiater die psychologische Dimension der Prozesse.  

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Die Nürnberger Prozesse verdeutlichen, dass Recht über Macht steht. In einer Zeit, in der wieder Kriegsverbrechen in Europa dokumentiert werden, in der Völkerrecht gebrochen wird und internationale Institutionen unter Druck geraten, wirkt diese Idee dringlicher denn je. 

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