Zum Hauptinhalt springen

„Es geht ums große Ganze“

Deutschland und seine Entwicklungspolitik 2023 – ein Interview mit Ministerin Svenja Schulze zu den großen Themen des Jahres.

28.12.2022
Svenja Schulze, Ministerin für Zusammenarbeit und Entwicklung
Svenja Schulze, Ministerin für Zusammenarbeit und Entwicklung © picture alliance/dpa

Frau Ministerin Schulze, welches sind die zentralen Themen und Aufgaben, vor denen die deutsche Entwicklungspolitik steht?

Es geht ums große Ganze, die Zukunft unseres Planeten. 2015 haben wir uns als Weltgemeinschaft globale Nachhaltigkeitsziele für das Jahr 2030 gegeben. 2023 ist Halbzeit und es sieht nicht gut aus. Pandemie, Konflikte und nicht zuletzt der russische Angriffskrieg haben uns um Jahre zurückgeworfen bei Armut, Hunger, Gesundheit oder Bildung. Hier gilt es, wieder auf Kurs zu kommen – raus aus dem Krisenmodus, rein in einen Präventionsmodus, der auf nachhaltige Lösungen setzt und der auch die Widerstandsfähigkeit unserer Partnerländer in Krisenzeiten stärkt.

Eine zentrale Aufgabe bleibt die Unterstützung der Ukraine. Sie wird auch 2023 mehr brauchen als Waffen, um widerstandsfähig zu bleiben: Strom, Wärme, Wohnungen für die Binnenvertriebenen, Gesundheitsversorgung und vieles mehr, das wir in unser Entwicklungszusammenarbeit angehen werden.

Starke Frauen bringen Gesellschaften insgesamt voran.
Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Was mir für 2023 Mut macht, ist die neue brasilianische Regierung unter Präsident Lula: Brasilien hat nun die Chance, wegzukommen von einer Wirtschaft, die auf Waldzerstörung basiert. Das Land hat beste Vorrausetzungen für nachhaltige Landwirtschaft und eine grüne Wasserstoffwirtschaft. Wir werden mit der neuen brasilianischen Regierung über eine Partnerschaft sprechen, die den sozial-ökologischen Umbau der Volkswirtschaft insgesamt angeht.

Welche Weichenstellungen sind im Jahr 2023 notwendig?

Um bei den globalen Nachhaltigkeitszielen wieder auf Kurs zu kommen, brauchen wir gute Hebel, mit denen viele Ziele gleichzeitig angegangen werden können. Der vielleicht größte entwicklungspolitische Hebel ist, Frauen zu stärken. Starke Frauen bringen Gesellschaften insgesamt voran. Darum richten wir im Entwicklungsministerium unser Projekt-Portfolio gezielt darauf aus.

Ein zweiter Hebel sind soziale Sicherheitsnetze. Derzeit hat die Hälfte der Menschheit, vier Milliarden Menschen, keinerlei Zugang zu sozialer Sicherung etwa bei Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Behinderung oder Arbeitsunfällen. Das muss sich ändern. Soziale Sicherung hilft den Betroffenen, aber es ist auch eine besonders gute Investition in Entwicklung: Sie macht Gesellschaften krisenfester und wirkt gegen Armut, Hunger und Ungleichheit. Auch beim Umgang mit Klimaschäden ist soziale Sicherung das Mittel der Wahl – hier wollen wir den Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken 2023 weiter ausrollen. Ziel ist, dass die Hilfe bereitsteht bevor der Schaden durch die Klimaveränderung da ist, so dass dann schnell reagiert werden kann.

Ein dritter Hebel ist die Reform der Weltbank. Um die notwendige sozial-ökologische Transformation voranzutreiben, brauchen wir auch die großen internationalen Akteure in der Entwicklungspolitik wie die Weltbank. Wir wollen sie reformieren, um den globalen Zukunftsherausforderungen gerecht zu werden. Es muss für Entwicklungsländer zum Beispiel attraktiver werden, Weltbankkredite für Klima- oder Naturschutz zu nutzen. Denn Entwicklungsländern fehlt oft das nötige Geld, ambitionierte Klimaziele zu erreichen, auch wenn sie sich der Notwendigkeit bewusst sind.

Was muss international auf diesen Feldern passieren – und welche Rolle kann Deutschland dabei einnehmen?

Die Bekämpfung von Hunger, Armut und Ungleichheit muss ebenso wie erfolgreicher Klimaschutz auch auf multilateraler Ebene erfolgen, um spürbare Wirkung zu entfalten. Unsere Rolle dabei ist es, progressive Allianzen zu schmieden und uns mit anderen wichtigen Akteuren gut zu koordinieren. 2022 haben wir als G7-Präsidentschaft mit unseren internationalen Partnern schon einiges auf den Weg gebracht: das Bündnis für globale Ernährungssicherheit oder den globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken. Das führen wir fort. Neu dazu kommt, dass wir beim Thema soziale Sicherung eine treibende Rolle spielen wollen, um gemeinsam mit internationalen Partnern mehr Menschen sozial abzusichern. Beim Klimaschutz arbeiten wir zudem gemeinsam mit den G7 an einer neuen Energiewende-Partnerschaft mit Indien. Denn Indien spielt als bald bevölkerungsreichstes Land der Welt eine entscheidende Rolle, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Svenja Schulze ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

© www.deutschland.de

Du möchtest regelmäßig Informationen über Deutschland bekommen? Hier geht’s zur Anmeldung: