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Die Kraft der Gemeinschaft

Sie sind aus Kenia angereist, aus Mexiko und Ägypten: Mehr als 300 Schüler, Lehrer und Alumni aus der ganzen Welt lernen sich beim Forum „Menschen bewegen“ kennen und tauschen sich über Bildung, Deutschland und die deutsche Sprache aus.

Sarah Kanning and Clara Krug, 21.04.2016
© Sarah Kanning - Forum "Menschen bewegen"

„Einen Moment noch, ich bin gerade mitten in der Toskana.“ Gelb strahlende Sonnenblumenfelder, pittoreske Landhäuser, grüne Hügel und Täler – Pascal Omar ist begeistert von der berühmten Region in Italien. Dann nimmt der 17 Jahre alte Ägypter die Brille ab – und wirkt ein bisschen enttäuscht. Die faszinierende Landschaft ist verschwunden; er sitzt wieder mitten in der Station, einem Veranstaltungsort am Gleisdreieck in Berlin. Pascal Omar nimmt an einem Workshop des „Teutolab“ der Universität Bielefeld teil. Gemeinsam mit anderen Schülern lernt er, warum Menschen räumlich sehen können und wie einfach es ist, eine virtuelle Realität zu erzeugen.

Der Workshop ist eines von mehr als 20 Angeboten am dritten und letzten Tag des großen Bildungsforums „Menschen bewegen“ zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik („Moving People – Forum on cultural relations and education policy“) des Auswärtigen Amts. Mehr als 300 Schüler, Lehrer und Schulleiter aus mehr als 30 Ländern sind von 13. bis 15. April 2016 nach Berlin eingeladen worden. Sie tauschen sich dort über Deutschland, die deutsche Sprache, Bildung und Kultur aus. An diesem Freitag erleben sie „Kultur und Außenpolitik live“ und erfahren, was Außenpolitik in der Praxis bedeutet.

Sie alle eint die Begeisterung für Deutsch und Deutschland. „Wir leben in einer globalisierten Zeit, und Sprache bedeutet ein Eintauchen in eine neue Kultur“, hatte Staatsministerin Maria Böhmer bei der Eröffnung des Forums gesagt. Mehr als 15 Millionen Menschen lernen weltweit Deutsch. „Das sind die besten Botschafter, die ich mir vorstellen kann.“

Wissen fördert Toleranz und Respekt

Drei Tage verbringen die Schüler, Lehrer und Alumni gemeinsam: Am Eröffnungsabend hören sie zwei Diskussionen zur Bildung und lernen Jugendliche aus aller Welt kennen, die darüber sprechen, warum sie Deutsch lernen. „Ich mag Herausforderungen“, sagt beispielsweise die 16 Jahre alte Schülerin Bhavika aus Indien. Sie träumt davon, in Deutschland Maschinenbau zu studieren und – zumindest eine Zeit lang – Fuß zu fassen.

Am zweiten Tag der Veranstaltungen finden mehr als 20 Workshops für die Jugendlichen im Waldgymnasium in Berlin statt, einer davon: „Kochend um die Welt“. Couscous, Petersilie, Minzblätter, Gurken, Frühlingszwiebeln, Tomaten, je ein Tropfen Zitronensaft und Olivenöl, eine Prise Salz, ein wenig Pfeffer: Das sind die wichtigsten Zutaten für Tabouleh, ein traditionelles arabisches Gericht. „Wie viel Pfeffer brauchen wir, Rama? Und wie klein sollen wir die Gurken schneiden?“, fragt die 17 Jahre alte Silvia aus München. Rama kennt die Antwort ganz genau, Tabouleh ist für sie mehr als ein Salat. Für das 16 Jahre alte Mädchen aus Syrien ist das Gericht ein Stück Heimat. Vor neun Monaten floh sie von Syrien nach Deutschland, seit fünf Monaten lernt sie im Waldgymnasium im Berliner Stadtteil Charlottenburg Deutsch. An diesem Donnerstag bringt sie anderen Schülern etwas bei: wie man in ihrer Heimat kocht und was die Menschen gerne essen.

Die Themen der Workshops im Waldgymnasium sind so unterschiedlich wie die Kulturen, aus denen die Schüler stammen. Von Theaterspielen, Comic-Zeichnen und Rappen über Robotik, Rollstuhl-Basketball und Physik bis hin zu Fotografie, Poetry-Slam – und eben Kochen: Über zahlreiche Themen kommen die Schüler ins Gespräch. „Kochen macht Spaß und man lernt sich gut kennen“, sagt die siebzehnjährige Anna aus München.

Neugierig auf fremde Kulturen ist auch Jamileh. Das16 Jahre alte Mädchen aus den Palästinensischen Gebieten nimmt an dem Workshop „Traditions and Cultural Dialogue“ der UNESCO-Projektschulen teil. Mit anderen Schülern tauscht sie sich darin über soziale, kulturelle und religiöse Traditionen aus. Welche Traditionen verhindern den interkulturellen Dialog, welche sollten auch künftig bewahrt werden? Wie lebt man tolerant miteinander? Gemeinsam suchen die Teilnehmer nach Antworten. Ob es etwas gibt, das Jamileh als typisch Deutsch bezeichnen würde? Sie lächelt. „Ja, die Menschen sind so pünktlich. Aber das ist zum Glück nichts, was einem Dialog im Weg steht.“

In einer „Langen Nacht der Ideen“ lernen nicht nur die Schüler, sondern auch interessierte Berliner in Diskussionen, Museumsführungen, Filmen und Performance, warum die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik die dritte Säule der Außenpolitik darstellt: Kultur kann Grenzen überwinden. An 15 verschiedenen Orten in Berlin finden Kultur und Dialog statt. Platz zu schaffen für neue Ideen ist dann auch Thema im Kulturquartier „Silent Green“, wo SAVVY Contemporary zu Performances, Vorlesungen und künstlerischen Interventionen bis sechs Uhr früh einlädt. „Die eigenen Privilegien zu ,verlernen’ markiert den Beginn einer ethischen Beziehung zum Anderen“, ist die Veranstaltung dort überschrieben. Mit Waschzuber, Bügelbrett und weißer Farbe zeigt eine Künstlerin die Sprichwörtlichkeit von Geldwäsche, indem sie Dollarnoten erst säubert und dann zum Trocknen aufhängt. Ein Künstler malt mit Lippenstift statt mit Farbe die Umrisse einer Landschaft auf die weißen Wände.

Auch das Maxim Gorki Theater öffnet an diesem Abend seine Bühne, um mit Besuchern über die Aufgabe von Kultur und Theater in Zeiten gesellschaftlichen Wandels zu diskutieren. Dazu zeigt das Theater das Stück „Common Ground“ der israelischen Hausregisseurin Yael Ronen. Eine wesentliche Aufgabe des Gorki Theaters sieht Chefdramaturg Ludwig Haugk darin, Gespräche über Streitpunkte in Gang zu bringen – indem es die Themen auf die Bühne bringt. „Wir sind ein künstlerischer Ort und bilden die Gesellschaft ab“, sagt Haugk.

Um das Eigene, das Fremde und die soziale Kraft der Bildung geht es auch in der Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem Bildungsgipfel. „Wir ringen mit Partnern in aller Welt, die Bereitschaft zu zeigen, Fremdes nicht als Bedrohung zu empfinden, Offenheit für Austausch zu zeigen und die Möglichkeiten genau dafür zu schaffen“, sagt Steinmeier. Dann erzählt der Außenminister von der Fußballtrainerin der libanesischen Mädchen-Nationalmannschaft, Hiba Jaafil. Mit ihr als Trainerin gewann das Team den ersten internationalen Fußballtitel in seiner Geschichte: den Arab Women’s Cup. Erst dann seien auch die anfangs skeptischen Eltern überzeugt gewesen, dass ihre Töchter das Richtige tun. „Die soziale Kraft von Kultur und Bildung stärken, ist der beste Weg zu einer friedlicheren Welt“, sagt Steinmeier. Um Beispiele für diesen Ansatz zu finden, muss der Außenminister seinen Blick nur einmal durch die mit mehreren hundert Schülern und Lehrern gefüllte „Station“ wandern lassen: „Es sind Menschen wie die syrische Stipendiatin Alaa, der russische Schüler Ilya, die libanesische Fußballtrainerin Hiba Jaafil und unzählige andere, die heute hier sind“, sagt Steinmeier. „Sie alle sind Menschen, die etwas bewegen. Und die uns bewegen.“