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Ein Ort zum Mensch bleiben

Antonio Skármeta floh 1973 aus Chile nach West-Berlin. Später lebte er als Botschafter seiner Heimat erneut in Deutschland.

24.06.2015

Antonio Skármetas Roman „Mit brennender Ungeduld“ setzte dem chilenischen Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda ein Denkmal. Die Verfilmung unter dem Titel „Il Postino“ („Der Postmann“) brachte dem Autor Weltruhm. Sein Leben ähnelt dem des Mannes, den er beschreibt: Wie Neruda war Skármeta auch Diplomat. Beide unterstützten Salvador Allende, der 1973 durch die Militärregierung von Augusto Pinochet abgesetzt wurde. Neruda starb zwölf Tage nach dem Putsch. Der 35 Jahre jüngere Skármeta verließ Chile Richtung Europa.

Herr Skármeta, Sie sind nach West-Berlin ins Exil gegangen. Warum gerade dorthin?

Ich hatte ein Stipendium für das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes bekommen. Später konnte ich auch meine Familie nach Deutschland holen. Es war eine sehr intensive Zeit – in emotionaler Hinsicht, aber auch, was meine kreative Arbeit anging.

In West-Berlin lebten Sie gewissermaßen auf einer Insel, inmitten einer anderen Diktatur – wie haben Sie das empfunden?

Das Gute an West-Berlin war seine fröhliche, liberale und kosmopolitische Stimmung. Obwohl die Zeit im Exil schmerzhaft war: Dank der Fülle großartiger kultureller Angebote und Aktivitäten konnte ich in Berlin als Künstler weiter wachsen – und Mensch bleiben. Auch die deutschen Künstlerkollegen waren uns Exil-Chilenen gegenüber sehr herzlich und mitfühlend.

Wie haben Sie damals die DDR gesehen?

Unsere Wahrnehmung war zwiegespalten und stark von der eigenen Situation geprägt. Auf der einen Seite hat die DDR-Regierung vielen chilenischen Familien Zuflucht geboten und sich auch auf andere Weise der Folgen des Dramas in Chile angenommen. Zugleich aber waren wir linksgerichtete Chilenen desillusioniert durch die fatale Existenz der Mauer und die rigide Politik der DDR gegenüber ihrer Bevölkerung.

Hatten Sie die deutsche Wiedervereinigung für möglich gehalten?

Nicht in dieser entschiedenen, klaren, friedlichen Form. Ich dachte, es würde ein langer, schwieriger Prozess werden. Doch der Untergang des Kommunismus in Osteuropa war von globaler Kraft, das hat die Entwicklung beschleunigt.

Sahen Sie Parallelen zwischen dem politischen Wandel in Deutschland und in Ihrer Heimat?

Im friedlichen Übergang zur Demokratie liegt sicherlich eine interessante Parallele. Ansonsten aber hatten die beiden Regime wenig gemein.

Im Jahr 2000 sind Sie als chilenischer Botschafter nach Deutschland zurückgekehrt. Wie haben Sie das wiedervereinte Deutschland erlebt? Was ist Ihnen aufgefallen?

Die Energie und der Enthusiasmus, mit denen sich die Deutschen der Aufgabe stellten, die neuen Bundesländer in die Moderne zu überführen. Die Reife und das Feingefühl im Umgang mit Hindernissen und Kritikern. Der großartige architektonische Einfallsreichtum, mit dem Berlin zu einer Stadt verwandelt wird, die auf so viele Arten leuchtet. Berlin ist heute ein Magnet für junge Menschen aus der ganzen Welt, die dort viel Raum für ein alternatives und avantgardistisches Leben finden.

Die deutsche Wiedervereinigung jährt sich 2015 zum 25. Mal. Ihrem Empfinden nach: Wie gut hat Deutschland diesen Prozess gemeistert? Was bleibt zu tun?

Die Einheit war und ist eine große Herausforderung, aber mein Eindruck ist positiv. Die anfänglichen Bedenken gegenüber der sofortigen Eingliederung eines ganzen Staates in den anderen haben sich als grundsätzlich berechtigt, in ihrer Dimension aber als übertrieben erwiesen. Was zu tun bleibt: die umfangreiche gesamtdeutsche Kultur im Alltag der Menschen sichtbar zu machen und sie nicht nur in Bibliotheken, Museen, Denkmälern und Theatern zu bewahren.