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„Fortschritte in Rekordzeit“

Mit der Bankenunion aus der Finanz- und Schuldenkrise: Ein Interview mit Michel Barnier, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen.

15.01.2014
© picture-alliance/Wiktor Dalokowski - Michel Barnier

Herr Barnier, die Europäische Zentralbank hat vor der Übernahme der Bankenaufsicht mit dem Bilanz-Check der 128 größten Banken in der Eurozone begonnen. Schaffen mehr Kontrolle und Transparenz Vertrauen?

Die erste Säule der Bankenunion ist der ­Einheitliche Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM), in dessen Zentrum die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt steht. Die SSM-Regulierung ist im November 2013 in Kraft getreten und soll in diesem Jahr voll greifen. Für den Bilanz-Check ist absolute Transparenz notwendig. Denn von diesem Gesundheits-Check hängt ab, ob sich die Glaubwürdigkeit der europäischen Banken und das Vertrauen von Wirtschaft und Bürgern wiederherstellen lassen. Neu ist, dass die EZB nicht nur die Überprüfung vornimmt, sondern auch die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse und der notwendigen Folgemaßnahmen verantwortet. Ohne eine Bankenunion wäre das nicht möglich gewesen. Insgesamt stehen die europäischen Banken heute schon wieder viel besser da als noch vor zwei Jahren. Sie haben sich auf den Märkten ansehnliche Kapitalsummen beschafft, sodass die Eigenkapitalquote der europäischen Großbanken dem Niveau der US-Banken entspricht.

Die weiteren Schritte zur Bankenunion wie die eventuelle Sanierung oder Abwicklung maroder Kreditinstitute sowie die Einlagensicherung sind noch unklar. Welche Entscheidungen stehen als Nächstes an?

Die Bankenunion ist ein Eckstein der gestärkten Wirtschafts- und Währungsunion. Der SSM wird bereits eine merkliche Verbesserung bewirken. Bessere Überwachung allein reicht allerdings noch nicht. Eine Bankenunion macht es notwendig, notfalls auch Maßnahmen zu ergreifen, um nicht lebensfähige Banken entweder zu restrukturieren oder abzuwickeln und die Kosten für die Steuerzahler und die Wirtschaft dabei möglichst klein zu halten. Darum geht es bei dem sogenannten SRM 
(Single Resolution Mechanism), dem einheitlichen Mechanismus zur Bankenabwicklung, dessen Grundprinzip ein ein­heitliches Ausschussgremium und ein einheitliches Abwicklungskonzept sind. Wir führen derzeit Gespräche mit dem EU-­Ministerrat und dem Europäischen Parlament über unseren Vorschlag für einen SRM, den der Rat bis zur Europawahl im Mai 2014 gern definitiv verabschiedet sähe. Wir haben bereits in Rekordzeit enorme Fortschritte erzielt. Aber wir müssen unseren Schwung beibehalten und die Verhandlungen jetzt in die letzte Runde führen. Die Zeit drängt.

Der Charme der Idee einer Bankenunion besteht darin, marode Banken aus ihrem Teufelskreis zu befreien. Manche Ökonomen sehen darin „eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems“.

Mit der Schuldenkrise ist die Finanzkrise in eine neue Dimension eingetreten: Sehr deutlich zeigt sich, in welchen Teufelskreis Banken und Staaten geraten können. Die einzige Möglichkeit, diese unselige Verbindung aufzubrechen, besteht darin, dass die EU wirtschaftlich noch stärker zusammenrückt. Die Bankenunion gewährleistet dabei eine bessere Überwachung und Regulierung der Banken. Die verstärkte Koordination bietet auch einen gemeinsamen finanziellen Schutz: den ESM, den europäischen Stabilitätsmechanismus, der unter sehr strengen Auflagen Kredite gewähren kann.

Im Fall der Abwicklung einer Bank wollen Sie die „Kosten für den Steuerzahler klein halten“. Wie sicher funktioniert die Haftungskaskade?

Ich vertraue darauf, dass es nicht mehr nötig sein wird, öffentliche Gelder in Anspruch zu nehmen, sobald ein tragfähiger finanzieller Rahmen steht. Ehe dieser umfassende Regulierungsrahmen festgezurrt ist, können wir allerdings nicht ausschließen, dass als letzte Maßnahme auch Steuergelder in Anspruch genommen werden. Aber wir haben bereits geltende Regeln zum Schutz der Steuerzahler: Die überarbeiteten Regeln für staatliche Hilfen sind anwendbar, und dazu gehört, dass jeglicher Verwendung öffentlicher Unterstützung ein „leichtes“ Bail-in vorausgeht – die Bank und ihre Kapitaleigner sowie die nachrangigen Kreditgeber müssten demnach bis zu einer Obergrenze herangezogen werden, ehe der Staat einspringt. ▪