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Gehen oder 
bleiben?

Wie Deutschland für Flüchtlinge in der Ukraine und Jugendliche im Kosovo Perspektiven schafft.

Rolf Obertreis, 13.04.2016

Die Menschen richten sich auf ein neues Leben ein: Eine junge Frau, die daheim in Donezk als Lehrerin gearbeitet hat, bietet Deutschkurse an. Eine andere berät Existenzgründer – früher hatte sie eine eigene Druckerei. Die beiden gehören zu den geschätzt knapp 1,4 Millionen Menschen, die vor dem Krieg in der Ostukraine in westliche Teile des Landes geflohen sind. Eine weitere Million hat die Ukraine ganz verlassen. Damit sind inzwischen rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung auf der Flucht.

Schon 2014 hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag der Bundesregierung Unterkünfte für die Binnenflüchtlinge geschaffen. Innerhalb von vier Monaten wurden in den Bezirken Dnipropetrowsk, Charkiw und Saporischschja sieben Dörfer mit Wohncontainern für rund 3500 Menschen aufgebaut. Die lokalen Behörden bereiteten die Flächen vor, sorgten für Strom, Wasser- und Abwasserleitungen, deutsche Firmen stellten die Container auf. Alle Räume werden behindertengerecht gestaltet, es entstehen Sportplätze und Gemeinschaftsräume.

Doch ein Dach über dem Kopf schafft noch keine neuen Perspektiven. Zusammen mit Partnern vor Ort bietet die GIZ deshalb nun Sprach- und Computerkurse sowie Schulungen für Dienstleistungsberufe an. Mit umgerechnet fünf Euro pro Monat müssen sich die Bewohner an den Kosten für die Unterkünfte und das Angebot beteiligen. Den Rest der Betriebskosten trägt die Ukraine.

Die Kinder und Jugendlichen aus den provisorischen Dörfern sind in Kindergärten und Schulen in der Umgebung untergekommen. Einige Männer haben Arbeit gefunden. Es gebe kaum Konflikte mit der Bevölkerung, sagt Uwe Stumpf von der GIZ. „Die Aufnahme war herzlich und solidarisch. Das Zusammenleben läuft gut, auch wegen des überwältigenden Einsatzes der ukrainischen Freiwilligen.“

Trotzdem bleibt die Lage schwierig. „Was als Übergang geplant war, entpuppt sich mehr und mehr als längerfristige Lösung“, so Stumpf. „Die Mehrzahl der Flüchtlinge wird wohl dauerhaft in der neuen Heimat bleiben.“ Viele pendeln zwar in die Krisenregion, müssten aber feststellen, dass die ­Sicherheitslage eine endgültige Rückkehr nicht erlaubt. Zahlreiche Menschen harren nun schon seit einem Jahr in den Flüchtlingsdörfern aus. Rund 1700 warten noch auf einen Platz dort.

Szenenwechsel: Etwa 1200 Kilometer Richtung Südwesten liegt Priština, die Hauptstadt des Kosovo. Auch hier geht es um neue Möglichkeiten – für Menschen, die an Flucht denken, und für jene, die geflohen und zurückgekehrt sind. Die politische Lage in dem jungen Kleinstaat ist instabil, die gesellschaftlichen Herausforderungen sind groß. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 35 Prozent, unter Jugendlichen bei mehr als 60 Prozent. Gerade die jungen Kosovaren schauen nach Deutschland, wo sie sich Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhoffen. Doch über das Bleiberecht wissen sie wenig.

Die Bundesregierung bemüht sich deshalb verstärkt um direkte Aufklärung. Im Mai 2015 eröffnete Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den „Deutschen Informationspunkt für Migration, Ausbildung und Karriere“ (DIMAK). Zunächst für ein Jahr soll die von der GIZ betreute Anlaufstelle geöffnet sein.

Im DIMAK geht es um Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten. „Nicht nur in Deutschland, auch im Kosovo“, sagt GIZ-Landes­direktor James Macbeth. „Wir weisen auf Chancen hier im Land hin: im Weinbau, in der Landwirtschaft, der IT und im Maschinenbau.“ In den DIMAK kommen vor allem junge Leute, rund 40 Besucher sind es täglich. Schüler, Studierende, Angestellte und Arbeitslose nutzen das Angebot. Das Zentrum organisiert Bewerbungstrainings und Kurse zur Existenzgründung und informiert über legale Wege nach Deutschland.

Perspektiven gibt es dort für die jungen Menschen durchaus, sagt Macbeth. „Ihre Grundausbildung ist gut, das Engagement hoch.“ Das habe sich in Deutschland herumgesprochen. Die Diakonie Baden-Württemberg etwa bildet ab dem Sommer mehr als 50 junge Frauen und Männer aus dem Kosovo zu Pflegekräften aus. Auch Mittelständler und Handwerksbetriebe seien offen für junge Menschen aus Südosteuropa.

Die DIMAK-Mitarbeiter warten nicht nur in Priština auf Interessierte. „Wir gehen raus aufs Land, bieten in Dörfern Infoveranstaltungen an.“ Eng sei auch die Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Arbeitsministerium – es soll das Zentrum auf mittlere Sicht übernehmen. Örtliche Firmen informieren sich ebenfalls im DIMAK. Ende 2015 gab es eine gemeinsame Jobmesse. Der ­DIMAK gilt als Erfolg – und könnte zum Vorbild für weitere Länder werden. ▪