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Gemeinsam die Diktatur aufarbeiten

Ein Gespräch mit Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

23.06.2015

Nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali kam ans Licht, wie unmenschlich das Regime jahrzehntelang Oppositionelle gequält und unterdrückt hatte. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen unterstützte Tunesien von 2012 bis 2014 zusammen mit dem Auswärtigen Amt durch das Projekt „Contre l‘oubli“ – „Gegen das Vergessen“ bei der Aufarbeitung dieser Diktatur. Ein Gespräch mit Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte, über ehemalige Gefängnisse und den Kampf gegen das Vergessen.

Herr Knabe, Ihre Gedenkstätte arbeitete mit Tunesien zweieinhalb Jahre lang daran, seine Diktaturvergangenheit aufzuarbeiten. Inwiefern kann man die Umbrüche in Tunesien und die Situation in Deutschland 1989 vergleichen?

Als ich im April 2011 zum ersten Mal nach der Revolution nach Tunesien gefahren bin, war das für mich wie eine Reise mit der Zeitmaschine: die gleiche Spannung in der Luft, das Chaos des Neuanfangs, Kommissionen überall, die Vorbereitung auf die ersten freien Wahlen. Offenbar sind sich Gesellschaften, wenn sie einen solchen Umbruch erleben, sehr ähnlich. Denn genauso war es in der DDR.

Nur dass die Rahmenbedingungen andere waren.

Die Friedliche Revolution war auch eine Revolution von unten, eine Massenbewegung gegen die korrupten Eliten – so wie in Tunesien. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen der Situation 1989 in Deutschland und 2011 in Tunesien. Die Tunesier haben einiges sehr viel besser gemacht als wir damals. Sie haben die Staatspartei verboten und aufgelöst und das Archiv des Präsidenten in Beschlag genommen – was wir mit den Unterlagen des Politbüros nicht gemacht haben. Tunesien hat in mancher Beziehung aber eine schwierigere Ausgangslage. Es gibt kein prosperierendes „West-Tunesien“, dem Tunesien hätte beitreten können. Da waren die Ostdeutschen rein ökonomisch, aber auch was den Transfer von demokratisch sozialisierten Eliten angeht, in einer sehr viel besseren und wahrscheinlich weltweit einmaligen Situation. Tunesien muss seine Probleme alleine lösen, Ostdeutschland hatte einen starken Helfer an der Seite.

Im Oktober 2011 besichtigten Sie als erster Außenstehender das Untersuchungsgefängnis des tunesischen Staatssicherheitsdienstes in Tunis. Wie kam es dazu?

Drei Monate nach der Revolution hatten mir Freunde dieses damals mit Stacheldraht und Panzern gesicherte Gebäude des Innenministeriums an der Avenue Bourguiba gezeigt. Dort seien sie nach Verhaftungen verschwunden, erzählten sie, dort fanden Verhöre und Folterungen statt. Als der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Habib Essid im Juni 2011 in Berlin war, zeigte ich ihm nicht nur das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Sondern ich fragte ihn auch, ob ich mir nicht meinerseits, „sein Gefängnis“ anschauen könnte.

Was erwartete Sie dort?

Es war ein aufregender und anrührender Moment, diesen Zellentrakt zu besichtigen. Ich hatte mir auf dem Weg Berichte von Inhaftierten und Gefolterten durchgelesen. Vor Ort zeigten mir die Beamten des Innenministeriums Zellen, bei denen auffiel, dass alles frisch übermalt war, alles pikobello. Man konnte aber unter dem Anstrich Eingravierungen von Häftlingen erkennen. Ich legte den Beamten ans Herz: Ändern sie nichts, lassen Sie alles, wie es ist. Die Aura des Authentischen ist die Stärke des Ortes. Sehr bedauert habe ich, dass sie kurz darauf Schüler einluden, die alles kunterbunt anmalten. So sollte man mit solchen Orten des Schreckens nicht umgehen.

Das Projekt „Contre l’oubli“ konzipierte zwei Wanderausstellungen, ein mehrsprachiges „Handbuch Aufarbeitung“, internationale Konferenzen und Zeitzeugengespräche in Tunesien und Besuche in Berlin. Was kann es langfristig leisten?

Ich habe den Wunsch gehabt, in Tunesien mitzuhelfen. Damit das, was wir damals falsch gemacht haben, dort besser gemacht wird. In revolutionären Zeiten hat man doch andere Sorgen, als an eine spätere Erinnerungskultur zu denken. Ich habe festgestellt, dass der Besuch in Berlin im früheren Stasi Gefängnis für die Gäste, wie für mich in Tunis, zu einer Art Reise mit der Zeitmaschine wurde – allerdings in die Zukunft. Sie sind wie elektrisiert zurückgefahren und sagten sich: So kann das bei uns einmal aussehen. Ich habe den Partnern in Tunesien gesagt, dass sie bald erleben werden, wie Menschen die Vergangenheit vergessen und nostalgisch auf die vermeintlich guten alten Zeiten zurückblicken. Daher ist es wichtig, eine starke Erinnerung aufzubauen. Abgesehen davon, dass man es den Opfern schuldig ist, an ihnen begangene Verbrechen bekannt zu machen.

Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Am Eindrücklichsten war eine Konferenz mit tunesischen Zeitzeugen, die Opfer der Folter geworden sind. Ich werde nie vergessen, wie dieser Mann dort stand, gestützt auf einen Stock, weil sie ihn schwer misshandelt hatten, und seine Geschichte erzählte. Zum ersten Mal ist in Tunesien öffentlich von diesen schrecklichen Dingen in Gefängnissen berichtet worden. Das hat mich noch lange beschäftigt. Wir versuchen dem Leid irgendwie einen neuen positiven Sinn zu geben indem wir darüber aufklären. Dafür sind Zeitzeugen ganz wichtig.

Interview: Sarah Kanning