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Partnerschaft mit Höhen und Tiefen

Ein Gespräch mit Detlef Nolte, Direktor des GIGA-Instituts für Lateinamerikastudien in Hamburg.

24.06.2015

Als in Deutschland die Mauer fiel, befanden sich auch einige Länder Lateinamerikas in politischen Umbruchsituationen: In Chile, Paraguay oder Nicaragua etwa standen die Zeichen ebenfalls auf Wandel. Richtete sich der Blick von dort deshalb verstärkt auf Deutschland? Und wie haben sich die Beziehungen zwischen Lateinamerika und Europa in den vergangenen 25 Jahren entwickelt? Ein Gespräch mit Detlef Nolte, Direktor des GIGA-Instituts für Lateinamerikastudien.

Herr Professor Nolte, wie wurde die deutsche Wiedervereinigung in Lateinamerika wahrgenommen?

Man hat sie damals im breiteren Kontext vom Ende des Ost-West-Konfliktes gesehen, der durchaus Rückwirkungen auf Lateinamerika hatte. In Zentralamerika etwa waren viele interne Konflikte vom Ost-West-Konflikt überlagert. Trotzdem haben die Menschen in Latein­amerika die Wiedervereinigung selbstverständlich wahrgenommen und sich gefragt, welche Folgen sie haben würde. Es gab die Sorge, dass Deutschland sich zunächst um sich selbst kümmern würde. Und in gewisser Weise ist es ja auch so gekommen.

Inwiefern?

Als in Lateinamerika in den 1990er-Jahren die großen Privatisierungsprozesse liefen, haben sich deutsche Unternehmen relativ wenig beteiligt. Man war eher mit der Wiedervereinigung beschäftigt, außerdem waren die Perspektiven im erweiterten europäischen Raum gerade für mittelständische Firmen erst einmal interessanter. Deutsche multinationale Unternehmen dagegen waren schon vor 1990 in Lateinamerika präsent und sind es immer noch. Deutschland hatte immer gute Wirtschaftsbeziehungen zu Lateinamerika, da gibt es seit den 1950er-Jahren eine große Kontinuität.

Wie hat sich das Verhältnis weiter entwickelt?

In Wellenbewegungen. Die zeitweilige Konzentration Deutschlands und Europas auf sich selbst führte dazu, dass in Lateinamerika die Kooperation mit den USA verstärkt wurde. Ende der 1990er-Jahre merkten die Europäer, dass ihnen da vielleicht ein Partner verloren ging. Parallel zu den Gipfeln der Amerikas begann man mit den EU-Lateinamerika-Gipfeln. Dennoch haben sich die beiden Regionen inzwischen wieder ein Stück weit auseinander entwickelt. Das liegt auch daran, dass es einen neuen Akteur in der internationalen Politik gibt. China ist mittlerweile für viele lateinamerikanische Länder der wichtigste Handelspartner.

Die Europäische Union hat lange auf große Bündnisse wie Mercosur gesetzt, dann eher auf bilaterale Abkommen. Wie sieht es heute aus?

Mittlerweile hat die EU Abkommen mit den meisten Regionalorganisationen, wie dem zentralamerikanischen Integrationssystem, der karibischen Gemeinschaft und der Andengemeinschaft. Parallel dazu gab es bilaterale Abkommen. Es bleibt spannend, ob das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur noch zustande kommt, oder ob man weitere bilaterale Abkommen schließt, etwa mit Brasilien, mit dem die EU schon eine strategische Partnerschaft etabliert hat. Was sich geändert hat in den letzten 25 Jahren, sind die Gewichte innerhalb Lateinamerikas: Brasilien ist wesentlich dominanter als 1990, auch Kolumbien hat an Bedeutung gewonnen. Die relative Bedeutung Argentiniens ist dagegen niedriger als damals.

Ist die EU heute noch ein Vorbild für die lateinamerikanische Integration?

Anfang der 1990er-Jahre hatte Europa in Lateinamerika tatsächlich eine Modellfunktion. Das hat nachgelassen. Zwar haben die Lateinamerikaner ebenfalls verstärkt Integrationsprozesse angestrengt, diese unterscheiden sich aber von dem umfassenden europäischen Modell mit der Aufgabe von Souveränitätsrechten. Durch die Krise der EU ist ihre Attraktivität als Modell weiter gesunken.

Es gibt heute einen vermehrten Austausch in Bildung und Forschung, etwa im Rahmen des brasilianischen Stipendienprogramms „Wissenschaft ohne Grenzen“. Ein Modell mit Zukunft?

Es birgt durchaus Chancen. In den 1960er-Jahren war es bei den lateinamerikanischen Eliten noch sehr beliebt, in Europa zu studieren. Die Wirtschaftseliten von heute werden dagegen eher in den USA ausgebildet. Das hat sich etwas ausgeglichen: Europa ist wieder ein interessanter Partner, vor allem, wenn es attraktive Stipendienangebote gibt. Auch die deutschen Auslandsschulen sind ein Punkt, an dem man ansetzen sollte, um bei jungen Lateinamerikanern Interesse an Deutschland zu wecken.

Interview: Helen Sibum