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Von Rand und Mitte

Wir müssen China besser verstehen, fordert Michael Clauss, Deutscher Botschafter in China, im Interview.

26.03.2014
© Liang Chen - Michael Clauss

Herr Botschafter Clauss, der ehemalige deutsche EU-Botschafter in China, Markus Ederer, sagte bei seiner Vorstellung als neuer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, von China aus sähe die Welt anders aus. Haben Sie seit Ihrem Amtsantritt am 30. August 2013 eine ähnliche Erfahrung gemacht?
Auf Weltkarten hier ist China im wahrsten Sinne des Wortes das Reich der Mitte. Es liegt im Zentrum. Auf Karten in Berlin, zum Beispiel im großen Konferenzsaal im Auswärtigen Amt, sehen sie dort Europa und Afrika. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert Asiens. Unsere Wirtschaft hat das verstanden. Auch Politik und Gesellschaft müssen sich dieser Entwicklung deutlicher stellen. Wir müssen die geistige Geographie Chinas verstehen: Welche Ereignisse in der Geschichte gehören hier zum Allgemeinwissen? Welche Erlebnisse prägen die Generation, die China in die Zukunft führen soll? Chinesen erzählen sich andere Geschichten als wir Europäer. Deutschlands Geschichte ist geprägt von der Erfahrung der friedlichen Einigung Europas nach den Schrecken der Weltkriege. Einen solchen Prozess hat es nirgendwo sonst auf der Welt gegeben. Mit dem Wissen um unterschiedliche Perspektiven sollten wir versuchen, unsere Erfahrungen einzubringen.

Seit einem Jahr hat China eine neue Führung. Können Sie auch neue politische Akzente erkennen?
Die Reformankündigungen im Wirtschaftsbereich nach dem 3. Plenum zeigen es: China ist fest entschlossen, Innovation und nachhaltiges Wachstum in den Mittelpunkt seines Wirtschaftsmodells zu stellen. Dabei sieht uns China als wichtigen Partner. Wir wollen, dass deutsche Unternehmen noch stärker zu dieser Entwicklung beitragen und ungehindert Marktchancen wahrnehmen können. Der chinesische Präsident Xi Jinping will Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat fördern. Das ist auch für ausländische Investoren wichtig, vor allem aber würde das Leben für Millionen von Chinesen gerechter und leichter. Deutschland und China arbeiten an der stetigen Verbesserung der bereits sehr guten deutsch-chinesischen Beziehungen. So reiste Li Keqiang auf seiner ersten Auslandsreise als Premierminister im Mai 2013 auch nach Deutschland, Xi Jinping wird ebenfalls bald nach Deutschland kommen.

Sie waren zuletzt Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt. Wohin entwickeln sich die Beziehungen zwischen China und Europa?  
China hat ein strategisches Interesse an engen Beziehungen zur EU. Wirtschaftlich ist die EU Chinas größter Handelspartner. China und die EU sind geopolitisch keine Konkurrenten. Es gibt sogar ein großes Potential für weitere Entwicklungen im Bereich der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit. Dabei muss die EU auch außenpolitisch gegenüber China eine wichtigere Rolle einnehmen. Ich bin sicher, dass der neu geschaffene Europäische Auswärtigen Dienst sich hierbei zukünftig noch aktiver einbringen wird. Als Botschafter des größten Mitgliedsstaates der EU und mit den hervorragenden bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und China sehe ich es auch als eine meiner wichtigsten Aufgaben an, zur Vertiefung der Beziehungen zwischen China und der EU beizutragen.

Der Fünfjahresplan für den Zeitraum von 2011 bis 2015 setzt auf nachhaltiges und umweltbewusstes Wachstum. Wie sieht das in der Realität aus?
China bekennt sich zur mittelfristigen Schaffung einer „Green Economy“.  Zu den im 12. Fünf-Jahres-Plan genannten neuen strategischen Industrien zählen deshalb auch Energieeinsparung, Umweltschutz und erneuerbare Energien. Wir begrüßen den verabschiedeten Aktionsplan zur Reinhaltung von Luft, Wasser und Boden ebenso wie die Zielvorgaben zur Emissionsreduktion. Das Beispiel der Luftverschmutzung zeigt uns, dass noch viel zu tun bleibt. Ich bin aber überzeugt davon, dass China es ernst meint und die verschiedenen Maßnahmen zu spürbaren Verbesserungen führen können. Beispielsweise gibt es erstmals fest verankerte und rechtsverbindliche Ziele der Emissionsreduktion in Verbindung mit Strafzahlungen bei Nichteinhaltung. Die Kooperation deutscher und chinesischer Unternehmen kann viel zur Schaffung dieser „Green Economy“ beitragen.

Ein großes Politikfeld der neuen Bundesregierung ist die „Energiewende“. Auf welches Interesse stößt dieses Thema in China?
Die auch in diesem Winter teils starke Luftverschmutzung wird mittlerweile als eines der größten Probleme in China betrachtet. Chinas Energieversorgung basiert noch immer zu 70 Prozent auf Kohle. Peking setzt deswegen auf einen breiteren Energiemix, darunter auch auf den Ausbau der Kernkraft. Noch wichtiger aber: Das Interesse an regenerativer Energie ist sehr groß. Die deutsche Energiewende mit ihrem Fokus auf regenerativen Energieformen wird daher aufmerksam verfolgt. Sie soll Umweltschutz, ökonomische Effizienz und die Vorteile der industriellen Spitzenstellung Deutschlands vereinen. Damit gehört Deutschland für China zu den interessantesten Partnern bei der Bewältigung seiner Herausforderungen im Energiebereich.

Welche weiteren Themen stehen zwischen Deutschland und China ganz oben auf der Agenda?
2014 wird mit den Besuchen Xi Jinpings in Deutschland, dem angedachten Besuch der Kanzlerin in China und den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen neue Maßstäbe bei der Besuchsdichte setzen. Dabei möchten wir unsere Beziehungen substanziell vertiefen. Mit seinen erfolgreichen Mittelständlern und seiner Innovationskraft ist Deutschland der ideale Partner für ein China, das wiederholt und zuletzt beim 3. Plenum sein Ziel betonte, seine Wirtschaft auf Nachhaltigkeit umzustellen. Große neue Chancen gibt es hier zum Beispiel in den Bereichen Umwelttechnologie, Energie oder Landwirtschaft. Fairer Marktzugang für deutsche Unternehmen spielt dabei eine große Rolle. Wichtig ist auch, dass wir weiter über Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit im Dialog bleiben. Ein noch höheres Aufkommen an Touristen, Geschäftsleuten und Studierenden bleibt unser Ziel, um den Menschen ein besseres Verständnis des Partners zu ermöglichen.

Derzeit läuft das deutsch-chinesische Sprachenjahr in China? Auf welches Interesse stößt dieses Thema?
Es ist uns sehr wichtig, dass es zukünftig noch mehr junge Menschen in China gibt, die sich in der deutschen Sprache und Kultur heimisch fühlen können. Dabei steht – egal ob als Mitarbeiter in deutsch-chinesischen Joint Ventures, im Kulturaustausch oder als Sprachlehrer für Deutsch – Spracharbeit für uns im Zentrum unserer Bemühungen. Gleichzeitig wollen wir das Interesse an Deutsch noch weiter erhöhen. Die ausgebuchten Vorstellungen bei der ersten Auflage des Deutschen Filmfestivals in China im Oktober 2013, der große Andrang beim deutsch-chinesischen Autorentreffen oder die vom DAAD und Goethe-Institut durchgeführte und unter dem Motto „Hier kommt Deutsch“ stehende Bustour an Schulen und Universitäten zeigen uns: Das Sprachenjahr stößt auf ein sehr großes Interesse. Die Lust, die Sprache und Kultur Deutschlands kennenzulernen, nimmt weiter zu.

Interview: Martin Orth