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Erfolg im Kampf gegen kriminelle Schleuser

Der Bundespolizei und der Türkischen Nationalpolizei ist die Zerschlagung eines Schleusernetzwerks gelungen.

Julia Egleder, 19.04.2016

Es war kurz vor Weihnachten 2014, als die deutsche Polizei vier illegal eingereiste Syrer kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze in Sachsen aufgriff. Die Beamten vernahmen die Flüchtlinge. Und brachten damit die bislang größte gemeinsame Aktion in Sachen Schlepperbekämpfung in der deutsch-türkischen Geschichte in Gang.

Die vier Syrer erzählten den Ermittlern, wie sie nach Deutschland gekommen waren und wer ihnen dabei geholfen hatte. Der gefährlichste Teil ihrer Reise bestand aus der Fahrt über das Mittelmeer, vom türkischen Mersin bis zur italienischen Küste. Sie wurden gemeinsam mit hunderten anderen syrischen Flüchtlingen in den Bauch eines schrottreifen Frachtschiffs gepfercht. Dicht an dicht mussten sie sitzen, ohne die Möglichkeit, Toiletten zu benutzen, mit wenig Luft und nichts zu trinken.

Der Fall der sogenannten Geisterschiffe ging zum Jahreswechsel 2014/15 durch die deutschen Medien. Schleuser hatten drei abgetakelte Frachtschiffe organisiert, sie mit Flüchtlingen gefüllt und in Richtung italienische Küste geschickt. Die Schlepper selbst waren kurz nach Auslaufen der Schiffe von der türkischen Küste von Bord gegangen, in einem Fall hatten sie die Steuerung des Schiffs auf Autopilot gestellt. Ein für die Flüchtlinge im Bauch der Schiffe lebensgefährliches Unterfangen, für die Schlepper dagegen ein millionenschweres Geschäft: Für die Fahrt auf der „Merkur“, der „Blue Sky M“ oder der „Ezadeen“ mussten die Flüchtlinge 4500 bis 6000 US-Dollar bezahlen. Das macht bei den 1766 Migranten, die die Schlepper auf die drei Schiffe brachten, insgesamt 9,5 Millionen US-Dollar Gewinn für die Schleuser.

Die Flüchtlinge hatten Glück: Mit lebensgefährlichen Rettungsmanövern bekam die italienische Küstenwache die führungslosen Geisterschiffe vor der Küste Italiens unter Kontrolle. Die Beamten brachten die Flüchtlinge wohlbehalten zum italienischen Festland, von wo aus die meisten illegal weiterreisten. Wie die vier Syrer, die nur Tage später hinter der deutsch-tschechischen Grenze aufgegriffen wurden.

Bei der Befragung der Flüchtlinge wurde den Ermittlern der Bundespolizei schnell klar: Die Verantwortlichen sind in Deutschland und der Türkei zu finden. „Wir haben dann Kontakt mit unseren türkischen Kollegen aufgenommen“, sagt Gero von Vegesack, der Pressesprecher der Bundespolizei. Am 20. Januar 2015 gründeten die beteiligten Behörden die deutsch-türkische Ermittlungskommission mit dem Namen „Wave“. Hier kooperierten die Bundespolizei und die Nationalpolizei der Türkei unter der Leitung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden und der Staatsanwaltschaft in Mersin. „So eng hatten wir vorher noch nie zusammengearbeitet. Das war schon eine beispiellose Aktion: Auch weil es um besonders viel Geld ging und wir einem ungewöhnlich großen Schleusernetzwerk auf der Spur waren“, sagt der Sprecher der Bundespolizei.

Über Grenzen hinweg tauschten die türkischen und deutschen Ermittler nun Informationen aus, sie telefonierten regelmäßig, der deutsche Leiter der Ermittlungskommission flog in die Türkei. Ein Jahr nach Gründung der Kommission erfolgte dann der Zugriff, türkische und deutsche Beamte sprachen sich ab und stürmten am frühen Morgen des 20. Januar 2016 gleichzeitig 26 Wohnungen und ein Büro in der Türkei und in Deutschland. Ein Video der Bundespolizei zeigt das Vorgehen: In Berlin stemmte die Bundespolizei mit einem Rammbock die Wohnungstür eines Verdächtigen auf, dann drangen die Beamten in die Wohnungen ein. Am Ende der Aktion wird der syrische Verdächtige von den Beamten aus dem Mehrfamilienhaus geführt. Ähnlich lief es in Lübeck: Dort stürmte die Polizei die Wohnung eines syrischen Asylbewerbers, der über Facebook Werbung für die Überfahrt mit einem Geisterschiff gemacht hatte. Auch in Köln, Hannover und Berlin ging die Bundespolizei gegen Schlepper vor; sie durchsuchte Wohnungen, nahm Verdächtige fest und beschlagnahmte Computer, Handys, Auftragsbücher und andere Dokumente. „Insgesamt waren knapp 500 Beamte der Bundespolizei bei der Aktion gegen die Schleuser beteiligt“, sagt von Vegesack.

In der Türkei durchsuchten Beamte der Nationalpolizei zehn Wohnungen in Istanbul, Mersin, Izmir und Hatay. Zehn Personen nahmen sie vorläufig fest. „Damit wurde auch verhindert, dass 380 weitere Migranten nach Europa geschleust wurden“, erläutert Bundespolizei-Sprecher von Vegesack. Die Bundespolizei hat insgesamt fünf Verdächtige festgenommen, diese werden jetzt wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 1766 Fällen vor Gericht gestellt. Im Falle einer Verurteilung müssen sie mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe rechnen. Bei der Pressekonferenz, die am Tag der Festnahmen stattfand, sagte der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann: „Die Erkenntnisse aus den Ermittlungen zeigen deutlich, dass Schleusungskriminalität keinerlei Rücksicht auf Gesundheit und Leben der Geschleusten nimmt. Es geht hier nicht etwa um ‚Fluchthilfe‘, sondern schlicht ums Kasse machen.“ Die deutschen Behörden erhoffen sich jetzt von der Befragung der Verhafteten und den Ermittlungen im Zuge des Gerichtsverfahrens noch zusätzliche Hinweise auf weitere Mitglieder des Schleusernetzwerks. „Wir arbeiten weiterhin sehr eng mit den türkischen Behörden zusammen“, sagt Gero von Vegesack. ▪