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Expertise über die OSZE – und über Russland

Von Hamburg aus erforscht eine einzigartige Institution die Arbeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Беньямин Хэрдле, 13.01.2016

Der Kosovo-Krieg Ende der 1990er-Jahre, der Georgien-Konflikt 2008 oder der seit 2014 schwelende Konflikt im Osten der Ukraine – die Beziehungen Russlands zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind in jüngster Vergangenheit oft auch ein Spiegelbild der politischen Konflikte, bei denen Russland und der Westen unterschiedliche Auffassungen haben. „Das Verhältnis Russlands zur OSZE hat schon viele Krisen gesehen“, sagt Elena Kropatcheva, die am Zentrum für OSZE-Forschung (CORE, Center for OSCE Research) am An-Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg forscht. Die Politikwissenschaftlerin widmet sich unter anderem der europäischen und eurasischen Sicherheitspolitik sowie der Innen- und Außenpolitik Russlands und hat Anfang 2015 eine Studie zur „Evolution der russischen OSZE-Politik“ vorgelegt. Nach den Krisen, sagt die Politikwissenschaftlerin, habe sich bislang das Verhältnis immer wieder verbessert. Anders sei dies aktuell im Fall der Ukraine. „Dies ist der bisherige Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Russland und dem Westen und damit die größte Krise der europäischen Sicherheitspolitk seit Ende des Kalten Kriegs“, bilanziert sie.

Seit 2003 arbeitet Kropatcheva am CORE. Das Zentrum mit seinen acht Wissenschaftlern ist ein Unikum: Als einzige Forschungsinstitution der Welt konzentriert es sich auf die Entwicklung der OSZE und verknüpft dies mit der Analyse aktueller Probleme und mit Dienstleistungen für die Praxis, oft im Auftrag des Auswärtigen Amts. CORE untersucht beispielsweise Feldmissionen der OSZE, erforscht die Demokratie- und Friedensbemühungen der Staatenkonferenz in Krisenregionen oder ergründet die institutionelle Entwicklung der OSZE. Der regionale Schwerpunkt hat sich dabei seit der Gründung von CORE im Jahr 2000 verschoben. „Früher stand bei uns mehr Südosteuropa im Mittelpunkt, mittlerweile forschen wir hauptsächlich zu Russland, Ukraine und Zentralasien“, sagt Wolfgang Zellner, der das CORE seit 2003 leitet. Zentralasien werde zu Unrecht oft unterschätzt, dabei sei es eine wichtige Region für die Energie- und Sicherheitspolitik sowie ein bedeutendes geopolitisches Bindeglied zwischen Europa, Russland und China.

Analyse von Feldmissionen

Die Forschung dient oft als Basis für Beratungsdienste, die die Politikwissenschaftler am CORE anbieten. Sie untersuchten beispielsweise, wie wirksam die Feldmissionen der OSZE in Krisengebieten sind. „Diese Erkenntnisse erleichtern uns jetzt, für das Auswärtige Amt Folgearbeiten auf diesem Gebiet zu machen“, sagt Zellner. Umsetzen lassen sich Ergebnisse aus der Forschung auch, wenn Deutschland 2016 den OSZE-Vorsitz übernimmt. So haben die Hamburger Wissenschaftler etwa im Auftrag des Auswärtigen Amts erforscht, wie die Schweiz den OSZE-Vorsitz im Jahr 2014 organisierte. „Der Vorsitz verlief sehr erfolgreich“, urteilt Zellner und bringt dies auf die Erfolgsformel „Informalität und perfekte Planung“. Informalität sei ein Pluspunkt gewesen, weil sich viele der Verantwortlichen seit Langem kannten. „Das schafft Vertrauen und kurze Entscheidungswege.“ Zudem hätte die Schweiz dank langer Vorbereitungszeit alle Veranstaltungen während des Vorsitzes bereits ein Jahr vorab komplett geplant. „Trotz der Ukraine-Krise konnten sie so ihr Programm komplett durchziehen, das war schon sehr beeindruckend“, sagt Zellner.

Auch für den deutschen OSZE-Vorsitz bringt das CORE seine Expertise ein. So hat es, wie bereits bei etlichen anderen Staaten, die zuvor den Vorsitz übernahmen, Trainings gemacht, um Beamten aus dem Auswärtigen Amt, Austauschbeamten und externem Personal Grundlagen zur OSZE, Know-how zu den verschiedenen Arbeitsdimensionen und Institutionen der OSZE und andere Besonderheiten zu vermitteln, die für diese außergewöhnliche Aufgabe notwendig sind. Dem Auswärtigen Amt schlugen die Wissenschaftler ferner vor, was Deutschland an Inhalten und Themen im nächsten Jahr auf die Agenda bringen könnte. Die wissenschaftliche Freiheit, sagt CORE-Chef Zellner, sei von der Kooperation mit dem Amt aber nicht beeinflusst. „Wenn wir eine andere Meinung als die Amtsseite haben, ist das kein Problem“, betont der 62-Jährige. Und auch innerhalb des Hamburger Zentrums ist die Meinungsvielfalt bei strittigen Themen ausdrücklich gewünscht. „Wir hatten intensive Diskussionen beispielsweise zum Umgang mit Russland.“ Dies sei enorm wichtig, denn nur so bleibe man als Wissenschaftler produktiv.

Dass das Thema Russland in Deutschland etwas Besonderes ist, merkt auch OSZE-Expertin Kropatcheva. „Das Interesse in Deutschland, Russland zu verstehen, ist groß“, sagt die Wissenschaftlerin, die sich in etlichen Diskussionen, Seminaren, Tagungen oder Medienanfragen dazu äußert. Der bisherige Wandel war enorm: Einst galt die OSZE-Vorgängerinstitution KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), die 1975 gegründet wurde, als Lieblingsprojekt Russlands. „Russland wollte über die KSZE viele Kooperationen eingehen“, sagt Kropatcheva. Dies habe sich mehr und mehr geändert. „Russland sieht die OSZE als Institution des Westens und als russlandkritische Organisation“, erklärt sie. Die OSZE spielte in der Ukraine-Krise dennoch eine wichtige Rolle.

„Die OSZE war in der Vergangenheit die Einzige, die im Dialog zwischen Russland und dem Westen etwas bewirkte, wenn andere nichts mehr ausrichten konnten“, sagt Kropatcheva. Denn der Organisation sei es gelungen, 1000 Beobachter mit Billigung Russlands in die Donbass-Region zu schicken – ein wichtiges Signal. Mittlerweile, sagt Elena Kropatcheva, gebe es wieder andere Formate, über die Russland und die westlichen Staaten miteinander kommunizierten, die ebenfalls etwas bewirkten. Auch diese politischen Veränderungen in der Öffentlichkeit einzuordnen, ist für die CORE-Mitarbeiter wichtiger Teil ihres Jobs. ▪