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Flüchtlingen einen Neustart ermöglichen

Weltweit sind rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Eine Initiative des BMZ soll dazu beitragen, die Ursachen zu bekämpfen – und die Folgen zu mildern.

بقلم: دانييل كربر, 15.01.2016

Die Zahl ist enorm: Bei einer Bevölkerung von 4,8 Millionen Einwohnern hat der Libanon 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Mehr als die Hälfte davon sind Kinder im Schulalter. Eine immense Herausforderung für das kleine Land am Mittelmeer, das in den vergangenen Jahrzehnten selbst mit einem Bürgerkrieg und innenpolitischen Konflikten zu kämpfen hatte: Es gibt nicht genügend Schulen, um sowohl den libanesischen als auch den syrischen Kinder den Unterricht zu ermöglichen; zudem sind viele in schlechtem Zustand. Viele Lehrer sind wegen der großer Klassen, eines Doppelschichtbetriebs und verhaltensauffälliger Kinder überlastet. Für den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern sind sie oft nicht ausgebildet.

2014 hat die libanesische Regierung deshalb gemeinsam mit nationalen und internationalen Institutionen und Organisationen eine Strategie entwickelt. Das Ziel: Die schulischen Bedingungen für die syrischen und die libanesischen Familien zu verbessern und allen Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen. 2015 haben 150.000 syrische Kinder und Jugendliche am Unterricht teilgenommen. 2016 soll die Zahl auf 200.000 steigen.

Hierzu werden nun Schulen mitsamt der sanitären Anlagen renoviert. Für Kinder mit Behinderungen werden die Gebäude barrierefrei umgebaut. Zudem erhalten Lehrer Schulungen, um traumatisierte Flüchtlingskinder professionell zu unterstützen.

Das Schulprogramm im Libanon ist ein Beispiel, das zeigt, wie Flüchtlinge neue Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben erhalten können. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt es im Rahmen der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“. 5,8 Millionen Euro fließen von Seiten des BMZ in das Projekt. Insgesamt unterstützt die Sonderinitiative Menschen in 19 Ländern sowie durch mehrere überregionale Projekte. Dazu gehören neben dem Libanon auch der Irak, Ägypten und Jordanien. Insgesamt stehen 330 Millionen Euro für die Initiative zur Verfügung, die 2014 startete. Bis zu fünf Jahre laufen die einzelnen Projekte.

„Mit der Sonderinitiative Flüchtlinge will das BMZ dazu beitragen, dass Konflikte erst gar nicht entstehen, eskalieren und Menschen zur Flucht zwingen“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. „Gleichzeitig will es helfen, die negativen Auswirkungen von Flüchtlingsbewegungen für alle Beteiligten abzumildern.“ Ziel ist es, zusammen mit Partnern die Fluchtursachen zu bekämpfen und die Aufnahmeregionen zu stabilisieren. Außerdem soll die Initiative dazu beitragen, die Menschen in der neuen Heimat zu integrieren oder ihnen zu helfen, in ihrer alten Heimat wieder Fuß zu fassen.

Projekte in unterschiedlichen Bereichen sind gestartet, um diese Ziele zu erreichen: Das Bundesministerium finanziert Bildungsangebote und hilft Männern und Frauen, sich weiterzuqualifizieren. Die Initiative verbessert die Wasser- und Gesundheitsversorgung und bietet psychologische Hilfe. Auch Friedens- und Versöhnungsprojekte gehören dazu. Im Nahen Osten erhalten beispielsweise im Irak 3000 Kinder Zugang zu psychosozialer Unterstützung und kinderfreundlichen Räumen. Hier finanziert die Initiative zudem den Wiederaufbau und die Ausstattung von 35 Einrichtungen wie Schulen und Gesundheitszentren. Im Libanon erhalten 42.000 syrische und palästinensische Flüchtlinge Zuschüsse für Nahrungsmittel und Miete.

Die Sonderinitiative ist vor dem Hintergrund der steigenden Flüchtlingszahlen entstanden: Weltweit sind rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie verlassen ihre Heimat, weil dort Krieg herrscht, weil sie verfolgt oder unterdrückt werden. Sie fliehen vor Gewalt oder den Folgen des Klimawandels. Neun von zehn Flüchtlingen leben in einem Entwicklungsland.

Diese Aufnahmeregionen benötigen Unterstützung, betont Steffen Angenendt, Migrationsforscher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Es gibt dort häufig zu wenig Schulen, keine gute Gesundheitsversorgung und keine funktionierende Verwaltung“, sagt Angenendt. Oft blieben die Flüchtlinge längere Zeit in diesen Regionen. „Ihnen muss deshalb vor Ort eine Perspektive aufgezeigt werden.“ Sonst würden sie wieder aufbrechen. „Die Migrationsforschung zeigt: Wer bereits einmal geflohen ist, der ist eher bereit, sich wieder auf den Weg zu machen.“

Insbesondere das Engagement im Bildungsbereich zahle sich aus, sagt Angenendt: „Viele junge Flüchtlinge sind längere Zeit nicht zur Schule gegangen. Wenn sie keine Hilfe erhalten, können sie ihre Potenziale nicht nutzen und es wächst eine verlorene Generation heran.“ Die Unterstützung sei auch deshalb sehr wichtig, weil die Zuwanderer häufig mit der einheimischen Bevölkerung um Ressourcen konkurrieren. Dadurch können Konflikte entstehen, zum Beispiel um Essen und Bildung.

Um diese Konflikte zu bekämpfen, arbeitet das BMZ bei der Sonderinitiative mit verschiedenen Partnern zusammen. Dazu gehören die Europäische Kommission sowie staatliche Organisationen wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Auch internationale und UN-Organisationen, Universitäten, Think Tanks, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Kirchen sowie die Regierungen der betroffenen Staaten zählen zu den Partnern.

Die Sonderinitiative ist nur ein Baustein des BMZ, um Flüchtlingen neue Perspektiven zu bieten. Insgesamt wird das Bundesministerium in dieser Legislaturperiode mehr als 12 Milliarden Euro in Herkunfts- und Aufnahmeländern ausgeben – und damit weiterhin international Verantwortung übernehmen. ▪