Zum Hauptinhalt springen

Für freien Journalismus

Deutschland nimmt Anteil an der Situation der in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten Meşale Tolu und Deniz Yücel. „Reporter ohne Grenzen“ setzt sich für sie ein – und für ihre türkischen Kollegen.

24.05.2017
© dpa - #freedeniz, Schauspiel Frankfurt

Der Theatersaal singt: „Es bleibet dabei, die Gedanken sind frei“ – der Ausklang einer bemerkenswerten Veranstaltung. Rund 800 Besucher waren in das Schauspiel Frankfurt gekommen, um „eine Matinee der Solidarität mit Deniz Yücel und inhaftierten Journalistinnen und Journalisten in der Türkei“ zu erleben. Zahlreiche Prominente, aber auch Yücels Schwester Ilkay, hatten Texte des deutsch-türkischen Korrespondenten der Zeitung „Die Welt“ vorgetragen. Yücel ist seit Februar 2017 in der Türkei in Haft, ihm werden „Volksverhetzung“ und „Terrorpropaganda“ für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorgeworfen.

Die von Freunden Yücels initiierte Frankfurter Veranstaltung, über die deutsche Medien vielfach berichteten, zeigt, wie die Situation des Journalisten die Menschen in Deutschland bewegt. Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“, betont den Wert solcher Aufmerksamkeit: „Der Fall Deniz Yücels hat die Diskussion über Pressefreiheit und inhaftierte Journalistinnen und Journalisten in der Türkei auf ein neues Niveau gehoben.“ Auch dass die Organisatoren der Lesung ausdrücklich Yücels Kollegen in Haft ansprachen, ist ganz im Sinne von „Reporter ohne Grenzen“: „Wir wünschen uns für alle diese Journalisten die gleiche Aufmerksamkeit“, sagt Mihr. Die türkische „Plattform für unabhängigen Journalismus“ P24 zählt derzeit 165 inhaftierte Journalisten in der Türkei. Unter ihnen ist auch die für ein türkisches Medium arbeitende deutsche Übersetzerin Meşale Tolu, die Ende April 2017 festgenommen wurde. Auch ihr wird „Terrorpropaganda“ vorgeworfen. „Reporter ohne Grenzen“ kritisiert, dass die türkische Justiz die Betroffenen und ihre Anwälte oft für längere Zeit über die genauen Anschuldigungen im Unklaren lässt und somit eine Verteidigung von Anfang an erschwert.

 

Nothilfe für türkische Journalisten

Ein Großteil der Arbeit von „Reporter ohne Grenzen“ spielt sich jenseits dieser beiden Fälle ab. „Derzeit liegt unser Fokus auf der Nothilfe für türkische Journalisten“, erzählt Christian Mihr. So setzen sich er und seine Kollegen etwa für die knapp 30 türkischen Journalisten ein, die derzeit Exil in Deutschland suchen. Der in Deutschland bereits im Exil lebende ehemalige „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar und sein Kollege Erdem Gül wurden unmittelbar nach ihrer Verurteilung wegen „Verrats von Staatsgeheimnissen“ von „Reporter ohne Grenzen“ unterstützt. Die Nichtregierungsorganisation hat zudem gemeinsam mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem PEN-Zentrum Deutschland die Petition #FreeWordsTurkey vorangetrieben, die die Bundesregierung und die EU-Kommission zur Verteidigung der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit in der Türkei auffordert. Ende Februar 2017 übergaben Vertreter der drei Organisationen in Begleitung Can Dündars 140.000 Unterschriften an den deutschen Regierungssprecher Steffen Seibert.

Auch für Erol Önderoğlu, seit 1996 Vertreter von „Reporter ohne Grenzen“ in der Türkei, setzt sich die deutsche Sektion mit einer Petition ein und fordert das Fallenlassen der Vorwürfe gegen ihn. Der international hochangesehene Journalist ist wegen einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung „Özgür Gündem“ angeklagt – wie auch mehr als 30 weitere Journalisten.

Bedenkliche Medienkonzentration

Christian Mihr wird zur Unterstützung türkischer Kollegen im Juni zu Prozessbeobachtungen in die Türkei reisen. Er verweist auf ein weiteres, groß angelegtes Engagement von „Reporter ohne Grenzen“: den „Media Ownership Monitor Türkei“; erste Projektländer waren 2015 Kolumbien und Kambodscha. Zwischen Juli und Oktober 2016 führte „Reporter ohne Grenzen“ die Erhebung in Istanbul durch, gemeinsam mit der IPS Communication Foundation und deren türkischer Nachrichtenagentur Bianet. „Schon vor dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 hat die Medienkonzentration in der Türkei die Freiräume für Journalisten eingeengt“, sagt Mihr. „Diese Entwicklung hat sich seitdem verstärkt.“

Laut dem Monitor sind die meisten türkischen Medienbesitzer auf öffentliche Aufträge in anderen Branchen wie Energie, Transportwesen oder Bauwirtschaft angewiesen und dementsprechend zurückhaltend mit Kritik an der Regierung. So hätten beim Fernsehen, der für die öffentliche Meinungsbildung relevantesten Mediengattung in der Türkei, sieben der zehn wichtigsten Besitzer politische Beziehungen zur Regierungspartei AKP. Christian Mihr hebt die Bedeutung eines Blickes auf solche Strukturen hervor: „Gerade in diesen Zeiten des dramatischen politischen Wandels in der Türkei müssen wir wissen, welche Medien noch unabhängig sind.“

Im Exil: Drei Journalisten aus Syrien, der Ukraine und der Türkei berichten