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„China sucht verlässliche Partner“

Ein Interview mit Professor Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator Institute for China Studies, über den Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang und die deutsch-chinesischen Beziehungen.

30.05.2017
© Marco Urban - Sebastian Heilmann

Seit in den USA ein neuer Präsident regiert und alte außenpolitische Bündnisse in Frage gestellt werden, nähern sich China und Deutschland aneinander an. Wie ordnet sich der Besuch von Li Keqiang in diesen Kontext ein?

Deutschland und China weisen zurzeit in wichtigen Politikfeldern mehr Gemeinsamkeiten auf als das unter starke Spannungen geratene transatlantische Bündnis. Deutsch-chinesische Gemeinsamkeiten zeigen sich besonders in der globalen Handels- und Klimapolitik, aber auch generell in dem Bekenntnis zur Weiterentwicklung multilateraler globaler Regelwerke. 

Lis Besuch dient auch der Vorbereitung für den im Juli anstehenden Staatsbesuch von Chinas Präsident Xi Jinping. Der jüngst bemerkenswert intensivierte Austausch zwischen deutschen und chinesischen Politikern steht eindeutig im Kontext der unberechenbaren Außenpolitik, die von der US-Regierung praktiziert wird. Die amerikanische Außenpolitik wird in Peking und Berlin gleichermaßen als wenig verlässlich, schlingernd und kurzsichtig wahrgenommen.

China scheint zurzeit den Blick verstärkt nach Europa zu werfen. Was erwarten die Chinesen von Deutschland und Europa?

Die chinesische Seite sucht aktiv in Europa und Deutschland verlässliche Partner, um eigene Interessen abzusichern. Die mit der chinesischen Initiative der „Neuen Seidenstraße“ aufgebrachte Vision eines transkontinentalen Wirtschaftsraumes Eurasien schließt implizit eine Hauptrolle der USA aus. Die „Neue Seidenstraße“ kann auch ohne Zutun der USA zustande kommen. Chinas politische und finanzielle Diplomatie nutzt die neuen Spielräume, welche die irrlichternde Außenpolitik der US-Regierung eröffnet hat, mit Entschlossenheit und Geschick.

Wie haben sich denn die chinesisch-deutschen Beziehungen in den Monaten seit Trumps Amtsantritt verändert? Bei welchen Themen gab es womöglich Annäherungen?

Auch die Bundesregierung hat ein starkes Interesse daran, eine verlässliche Kooperation mit China auf für Deutschland prioritären Handlungsfeldern zu betreiben. Zurzeit ist eine substanzielle Abwendung von den USA und eine ersatzweise Hinwendung zu China in der deutschen Außenpolitik noch nicht festzustellen. Allerdings ist die wechselseitig betonte Offenheit und Freundlichkeit in den jüngsten chinesisch-deutschen diplomatischen Begegnungen bemerkenswert.

Auch die chinesische Seite hat seit der US-Präsidentenwahl eine vielschichtige Charme-Offensive gegenüber Deutschland gestartet, die chinesische Zugeständnisse etwa in Fragen der Elektromobilitätsquote, der Zulassung von politischen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in China wie auch der Bekämpfung von Cyberkriminalität einschließt. Die gravierendsten Spannungsherde zwischen Deutschland und China – die NGO-Zulassung und E-Autoquote – sind durch kompromissorientierte Verhandlungen in den vergangenen Monaten entschärft worden. 

Ganz gelöst sind die Probleme allerdings noch nicht: Bei der E-Autoquote gibt es von ranghoher chinesischer Seite Zusagen; die ministerielle Umsetzung aber lässt auf sich warten. Die Quote wird demnach abgemildert oder später als geplant eingeführt. Eine deutliche Entspannung gibt es in der NGO-Frage: Deutsche politische Stiftungen sind nun in China registriert und zugelassen. Die konkreten Arbeitsmöglichkeiten aber sind noch ungeklärt. Außerdem warten wichtige andere NGOs weiterhin auf ihre Legalisierung in China.

Wie werden sich die deutsch-chinesischen Beziehungen und auch Chinas Beziehungen zu Europa entwickeln? Wird China für die hiesige Außenpolitik wichtiger?

China wird – als schwieriger, aber berechenbarer diplomatischer Partner – aller Voraussicht nach eine deutlich aufgewertete Rolle in der künftigen europäischen Außenpolitik einnehmen. In der Tendenz werden Abstimmungen mit China an Gewicht und Dichte gewinnen, je stärker die Außenpolitik der USA in Spannung zu deutschen oder europäischen Kerninteressen gerät. Falls die USA auch beim G20-Gipfel im Juli gegenüber den Europäern und anderen Teilnehmerländern eine kompromisslose Linie im Alleingang fahren sollten, wird dies die ohnehin notwendigen diplomatisch-strategischen Neuorientierungen auf europäischer Seite beschleunigen.

Bei welchen Themen sind noch Differenzen mit China zu erwarten?

Es gibt verschiedene Bereiche, in denen Differenzen fortbestehen. Beim Thema Marktzugang für deutsche oder ausländische Unternehmen in China sind bei Lis Besuch keine Fortschritte absehbar, auch das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit bleibt in beiden Ländern unterschiedlich. Wachsende Reibungen in den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sind in der Cyberpolitik zu erwarten: Deutschen Unternehmen drohen Risiken, was den Datenschutz im chinesischen Markt und die Datenübermittlung an chinesische Behörden oder autorisierte Rating-Agenturen angeht.

Die chinesische Regierung treibt die Gesetzgebung im Bereich Cybersicherheit vehement voran und baut an einem Big-Data-gestützten Rating- und Regulierungssystem, das tief in das Wirtschaftsleben eingreifen wird. Deutsche Unternehmen laufen damit Gefahr, die Kontrolle über sensible firmeneigene Daten zu verlieren.

© Mercator Institute for China Studies