Zum Hauptinhalt springen

„Viele Themen zu diskutieren“

Die Fellows der Transatlantic Academy blicken auf Deutschland und seine Rolle im modernen Europa.

Johannes Göbel, 07.10.2016

Es ist ein transatlantischer Streit, der auch schon vor Gericht ausgefochten wurde. Wie dürfen Suchmaschinen – allen voran der amerikanische Marktführer Google – mit Presseartikeln umgehen? In Deutschland wurde mit dem Leistungsschutzrecht eine nach wie vor umstrittene Antwort gefunden: Presseverlagen wird das ausschließliche Recht eingeräumt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, „es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“. Ist das nun ein Erfolg des Urheberrechts oder doch eher ein bedauernswerter Eingriff in die Informationsfreiheit im Internet? Die Meinungen gehen – auch in Deutschland – weit auseinander. Fest steht aber: Die Diskussion wird auf beiden Seiten des Atlantiks noch intensiv weitergehen.

„Das Leistungsschutzrecht berührt ganz grundsätzliche Fragen, die noch immer nicht geklärt sind“, sagt Heidi Tworek. „Wer ist ein Nachrichtenproduzent? Wie sollten Nachrichten urheberrechtlich geschützt werden?“ Die Assistenzprofessorin für Internationale Geschichte an der University of British Columbia in Vancouver wird sich diesen und anderen Fragen in den kommenden Monaten intensiv widmen – mit einer ausdrücklich transatlantischen Perspektive. Auf die Beziehungen zwischen Google und der EU konzentriert sich Heidi Tworek künftig als Fellow der Transatlantic Academy, deren neues Programmjahr unter der Überschrift „Deutschland und die Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert“ steht.

Die Transatlantic Academy wurde im Jahr 2007 als Partnerschaft zwischen dem German Marshall Fund of the United States (GMF) und der Hamburger ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gegründet, auch die Robert Bosch Stiftung, die Lynde and Harry Bradley Foundation und die Fritz Thyssen Stiftung sind Partner der Akademie, die Jahr für Jahr Wissenschaftler, Autoren und Politik-Experten zusammenbringt. Das Thema des neuen Programmjahrs ist in jeder Hinsicht weitreichend: „Die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen wird von zentraler Bedeutung für die weiter gefassten transatlantischen Beziehungen sein – und für das Profil Europas in diesem Jahrhundert“, sagt Stephen Szabo, Executive Director der Transatlantic Academy. „Die Fellows des Jahres 2016-17 werden eine außergewöhnliche Gruppe von Wissenschaftlern bilden”.

Es ist in der Tat eine besondere Gruppe, die die Transatlantic Academy ausgewählt hat: Herausragende Experten für ökonomische Fragestellungen wie der Brite Harold James von der Princeton University oder sein US-Kollege Wade Jacoby von der Brigham Young University zählen dazu, ebenso die hoch angesehenen Historiker Mary Elise Sarotte von der University of Southern California und Frédéric Bozo von der Pariser Sorbonne Nouvelle sowie der deutsche Politikwissenschaftler Stefan Fröhlich, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg und international gefragter Gastdozent, etwa in London, Moskau und Washington. Neben diesen „Senior Fellows“ werden mit der US-Amerikanerin Heidi Tworek und dem Deutschen Yascha Mounk, Politik-Dozent an der Harvard University, auch zwei jüngere Wissenschaftler deutsch-amerikanische Themen der Gegenwart analysieren.

Yascha Mounk, 1982 als Sohn polnischer Eltern in München geboren, wird einen Fokus auf Fragen von Liberalismus und Demokratie legen. Erst im August 2016 unterstrich der Politikwissenschaftler in einer Titelgeschichte des „Slate“-Magazins („The Week Democracy Died“), wie vielschichtig er aktuelle Entwicklungen betrachtet: von populistischen Strömungen in Europa und den USA über den Putsch in der Türkei und die harten Reaktionen von Präsident Erdoğan bis zum Brexit-Szenario: „Großbritanniens Entscheidung, die Europäische Union zu verlassen, ist ein perfektes Beispiel für illiberale Demokratie und undemokratischen Liberalismus.“

Auch eine solche Analyse passt zu Konzept und Anspruch der Transatlantic Academy. Dass unterstreicht auch Ted Reinert, der das Programm der Academy koordiniert: „Deutschland gewinnt zunehmend an Bedeutung als führende Gestaltungsmacht, seine Zukunft ist aber eng verknüpft mit der Zukunft des europäischen Projekts.“ Dementsprechend wird sich die Auftaktkonferenz des neuen Fellowship-Jahres am 27. September in Washington, DC unter der Überschrift „Partners in Leadership?“ auch der Bedeutung des Brexit-Szenarios für Deutschland und die USA widmen. Ted Reinert betont die Bedeutung des Austauschs für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Ganz grundsätzlich gelte: „Wir haben gemeinsam viele Themen zu diskutieren. Und wir suchen interessante Forschung, die für die Politik relevant ist.”

Forschung, wie sie Wade Jacoby betreibt. Der Professor für Politikwissenschaft an der Brigham Young University, unter anderem Autor für die renommierten Journale „World Politics“ und „Politics and Society“, hat in den vergangenen Jahren vielbeachtete Analysen zur Euro-Währungskrise vorgelegt. „Ich möchte die Zukunft der Eurozone auch als Senior Fellow der Transatlantic Academy im Blick behalten“, sagt er. Eine mangelnde Bereitschaft zur Reform der Eurozone hat Jacoby in den vergangenen Jahren durchaus festgestellt; auch blickt er kritisch auf eine zu starke Vereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union: „Europa sollte sich nicht von der Vielfalt verabschieden, von der es in der Vergangenheit profitiert hat.“ Das Wertschätzen von Unterschieden verbindet Wade Jacoby besonders mit der Arbeit der Transatlantic Academy: „Sie setzt sich für eine Vielfalt der Ansichten ein – und ermöglicht uns Wissenschaftlern einen freien Austausch.“ ▪