Schüler in Berlin wollen Klimawandel im Lehrplan haben
Deutschland tut zu wenig für Klimabildung, sagen Schüler in Berlin - sie wollen die Lehrpläne ändern.
Victoria Bederov neigt ihren Kopf. Was hält sie, die 18-jährige Schülerin, von Klimabildung an deutschen Schulen? Die Frage muss sie sacken lassen.
"Um die Klimabildung steht es leider ziemlich schlecht", sagt sie dann. Ihre Mitschülerinnen, Alina Runk (19) und die Leonie Brockmann (18), nicken zustimmend.
Die drei sind in ihrem letzten Schuljahr an der privaten Kant-Schule in Berlin. Das Bildungssystem, sagen sie, schaffe es nicht, den Kindern und Jugendlichen ausreichend Wissen und Kompetenz im Umgang mit dem Thema Klimawandel zu vermitteln. Und der stelle immerhin einegroße Bedrohung für ihre Zukunft dar.
"Es geht nicht nur um die Lehre vom Klimawandel, sondern um unser Überleben", sagt Bederov. "Es reicht nicht aus, wenn das Bildungssystem sagt, Glühbirnen zu recyceln und auszutauschen, wäre die Antwort."
Vorschläge wie diese findet man in den Lehrbüchern der Sekundarstufe immer wieder, wenn es um das Verringern des CO2-Ausstoßes geht, sagen die Schülerinnen. Das gelte nicht nur für Deutschland. Dabei haben solche Maßnahmen einen viel geringeren Effekt auf die Emissionen, als ein autofreies Leben oder der Verzicht aufs Fliegen, ergänzt Bruce Phillips, der Biologielehrer der Schülerinnen.
"Sie wissen alle über die Probleme", sagt er. "Aber sie wissen nicht, was sie tun sollen, um ihren eigenen CO2-Fußabdruck wirklich stark zu reduzieren. Im Moment bereiten wir sie nur darauf vor, wie man es nicht schafft."
Das soll sich auf jeden Fall ändern, fordern Runk, Brockmann und Bederov. Sie wollen den deutschen Lehrplan zukunftsfähig machen.
Schüler mit Anspruch
Ihr erster Schritt in diese Richtung bestand darin, eine Studie aus der Zeitschrift Environmental Research Letters unter die Lupe zu nehmen. Darin wurden verschiedene Szenarien untersucht, wie Einzelpersonen ihre CO2-Emissionen reduzieren können. Außerdem zeigte die Studie auf, wie oft diese Szenarien in wissenschaftlichen Lehrbüchern in Kanada auftauchen.
Das Ergebnis war ernüchternd. Selbst Szenarien, die deutlich messbare Ergebnisse liefern - etwa der Verzicht auf ein eigenes Auto, mit dem sich 2,4 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen lassen, spielten kaum eine Rolle.
Das Beispiel einer Familie aus einem Industrieland, die sich dafür entscheidet, ein Kind weniger zu bekommen und damit mehr als 58 Tonnen CO2 pro Jahr einspart, wurde überhaupt nicht erwähnt. Dagegen tauchten Lösungen, die einen vergleichsweise geringen Effekt haben, viel öfter auf.
Die drei Schülerinnen und ihr Lehrer untersuchten, wie es in Lehrbüchern für Geographie, Chemie und Biologie aussieht, die sich an 11- bis 18-Jährige in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, den USA und Australien richten, und kamen zum gleichen Ergebnis.
In einigen der Bücher steckten Lösungsvorschläge, die seit 25 Jahren nicht mehr erneuert worden waren, sagt Phillips.
Die Schülerinnen fordern deshalb, dass selbst kontroverse Vorschläge in die Lehrpläne aufgenommen werden müssen. Nur so, sagen sie, würden die Schüler überhaupt erfahren, was möglich sei und könnten sich kritisch damit auseinandersetzen - etwa mit dem Verzicht auf Kinder oder der Entscheidung, kein Flugzeug mehr zu besteigen.
"Das sollte wirklich durch Bildung passieren", sagt Brockmann. "Nicht auf eine radikale Art und Weise. Natürlich soll man nicht sagen: 'Ihr dürft keine Kinder haben.' Aber man muss klar machen, dass die Schüler in Zukunft bewusste Entscheidungen treffen müssen."
Um ihr Ziel zu erreichen, sprechen die Schülerinnen Schulbuchverlage und Politiker direkt an. Sie fordern eine Änderung des Lehrplans, nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland.
"Der Lehrplan ist eine, sich langsam bewegende Kreatur"
So ein Lehrplan lässt sich allerdings nicht so ohne weiteres ändern. Wie viel Schüler über Klima- und Umweltprobleme erfahren, ist stark davon abhängig, wie wichtig die jeweiligen Schulen oder Lehrer diese Themen nehmen. Und natürlich haben auch Bundesländer und örtliche Behörden ein Wörtchen mitzureden.
Denn das Bildungssystem in Deutschland ist dezentral angelegt, das heißt, jedes der 16 Bundesländer stellt einen eigenen Lehrplan auf.
"Die Veränderung des Lehrplans geht also nur sehr langsam vonstatten", sagt Jonas Andreasen Lysgaard, Dozent an der Danish School of Education. "Ein Lehrplan ist immer wie eine sich sehr langsam bewegende Kreatur. Beim Klimawandel wird das besonders offensichtlich. "Das gelte nicht nur für Deutschland, so Lysgaard. In Dänemark, wo er vor allem forscht, seien die städtischen Behörden für die Schulen zuständig.
Wenn hier also eine lokale Behörde den Klimawandel zum Schwerpunkt macht, fällt es einer Schule leichter, diesen in den Unterricht zu integrieren. "Ansonsten ist es vielleicht nur eine Woche pro Jahr, in der sie sich auf den Klimawandel konzentrieren. Auf politischer Ebene hinken wir ziemlich hinterher."
Jenseits theoretischer Lehrpläne haben Lehrer ein ganz praktisches Problem. Die Pädagogen arbeiten auch ohne den Klimawandel schon mit einem "übervollen Lehrplan”. Noch ein Thema hinein zu pressen, dürfte keine leichte Aufgabe sein. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass Schüler und Lehrer es bereits jetzt mit zu vielen Fächern zu tun haben.
Neue Lehre, neuen Methoden
Lysgaard und viele seiner Kollegen sind sich einig: Der Klimawandel ist nicht nur ein wissenschaftliches Thema, er betrifft noch viele weitere Bereiche. Ordnet man das Thema gesellschaftlich ein, macht die Relevanz deutlich, dann würde es Schülern leichter fallen, die Komplexität des Problems und dessen Auswirkungen besser zu verstehen.
"Sie sind die Klima-Generation", sagt Angus MacKay, Leiter der UN-Lernpartnerschaft zum Klimawandel (UN CC Learn) . "Sie brauchen mehr Hilfe. Ich bezeichne das immer als intuitives Verständnis des Klimawandels." Ist dieses Verständnis vorhanden, hofft McKay, könne die kommende Generation wirksame Lösungen entwickeln.
Ein Schritt in diese Richtung findet derzeit in Großbritannien an 80 Schulen statt. UN CC Learn arbeitet hier mit Harwood Education zusammen. Ein privates Unternehmen, das offizielles Material vom UN Klimarat für Schulen aufarbeitet und ihnen zur Verfügung stellt.
"Lehrer in Großbritannien haben ziemlich viel um die Ohren", sagt Melanie Harwood, Mitgründerin von Harwood Education. "Deshalb erhalten sie vorab erstellte Lektionen." Diese werden den Kindern über Tablets angeboten. Wenn das Pilotprojekt erfolgreich ist, hofft Harwood, das Programm auch an anderen Schulen vorstellen zu können.
Auch einige deutsche Schulen haben die Klimabildung in die eigenen Hände genommen. Ein Beispiel ist die Hagenbeck-Schule im Nordosten Berlins. Hier haben die Schüler die Möglichkeit, sich mit Artenvielfalt, Urban Gardening und nachhaltigem Leben direkt im Unterricht zu befassen. Das Ausmessen von Beeten ist beispielsweise Teil des Mathematikunterrichts.
Das ist ganz im Sinne der Schülerinnen der Kant-Schule. Sie fordern ihre Mitschüler auf, selbst aktiv zu werden und nicht darauf zu warten, dass sich etwas im Lehrplan ändert. Sie sollen ihre Lehrer und Schulen auffordern, den Klimawandel in die Unterricht einzubeziehen.
Bei der Klimakonferenz im vergangenen Dezember haben die drei Vorträge gehalten, sie nutzen Soziale Netzwerke, um ihre Botschaft zu verbreiten und nehmen auch an den weltweiten Schulstreiks für mehr Klimaschutz teil. Dafür lassen sie auch den Unterricht sausen. Das ist es wert, um die Entscheider der Welt wachzurütteln, sagen sie.
"Wir können als Schüler großen Einfluss auf die Menschen in unserer Umgebung nehmen", sagt Bederov. "Dazu ist es wichtig, zu wissen, wovon man spricht und dieses Wissen weiterzugeben. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot."