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Deutschlands Plan für Frieden in Syrien

Nach dem Sturz des Assad-Regimes steht Syrien vor großen Herausforderungen. Mit einem Acht-Punkte-Plan möchte Deutschland eine friedliche Entwicklung fördern.

Kim BergKim Berg, 18.12.2024
Jubel in Damaskus über den Sturz Assads
Jubel in Damaskus über den Sturz Assads © pa/dpa

Nach über einem Jahrzehnt Bürgerkrieg steht Syrien an einem entscheidenden Wendepunkt. Der Sturz des Assad-Regimes hat bei vielen Syrerinnen und Syrern die Hoffnung auf Frieden und Freiheit neu entfacht. Doch die Situation ist fragil: Millionen Menschen sind vertrieben, die humanitäre Lage ist nach wie vor dramatisch, und die Gefahr erneuter Gewalt allgegenwärtig. Um den Menschen eine gute Zukunft zu ermöglichen, möchte Deutschland aktiv zur Stabilisierung Syriens beitragen – nicht zuletzt wegen der rund eine Million syrischen Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren Schutz in Deutschland gefunden haben.

Ein Acht-Punkte-Plan für Syrien

Dafür hat das Auswärtige Amt einen Acht-Punkte-Plan vorgelegt, der Syrien Stabilität und einen Weg aus der Krise bieten soll. 

1. Friedlicher Machtübergang

Der friedliche Machtübergang steht an erster Stelle. Ein umfassender Dialogprozess, der alle gesellschaftlichen, ethnischen und religiösen Gruppen einbezieht, soll das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Strukturen wiederherstellen. In einem Videostatement auf X unterstrich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Stabilität nur möglich sei, wenn alle Gruppen berücksichtigt werden: „Syrien ist die Heimat vieler ethnischer und religiöser Gruppen. Stabilität und Sicherheit wird es nur geben, wenn im neuen Syrien Platz für all diese Gruppen ist.“

2. Schutz der territorialen Integrität Syriens

Gleichzeitig betont Deutschland, dass Syrien nicht erneut zum Spielball ausländischer Mächte werden dürfe. Nur durch intensive internationale Abstimmung, vor allem mit den Vereinten Nationen, kann die territoriale Integrität Syriens gesichert werden. Dabei bezieht Deutschland eine klare Position hinsichtlich der israelischen Aktivitäten auf den Golanhöhen, die Israel 1967 besetzt und 1981 annektiert hat. Das Auswärtige Amt kritisierte die Ankündigung der israelischen Regierung, die Siedlungen auf syrischem Gebiet auszubauen. „Die Ansiedlung von Zivilbevölkerung steht im Widerspruch zum Besatzungsrecht“, erklärte das Ministerium. Die Bundesregierung forderte Israel auf, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen, und bekräftigte ihre Haltung, dass die Golanhöhen völkerrechtlich zu Syrien gehören. 

3. Dialog mit politischen Akteuren eröffnen

In den Beziehungen zu den in Syrien dominierenden Kräften – insbesondere der Miliz Hay’at Tahrir al-Sham – verfolgt Deutschland einen pragmatischen Kurs. Gemeinsam mit internationalen Partnern versucht die deutsche Regierung, Stabilität zu fördern, ohne extremistische Ideologien zu legitimieren. Ziel ist es, Syriens fragile Situation nicht weiter zu verschärfen und gleichzeitig den politischen Dialog offenzuhalten.

Um erste Kontakte zu den neuen Machthabern in Damaskus zu knüpfen, entsandte die Europäische Union den deutschen Diplomaten Michael Ohnmacht nach Damaskus. Ohnmacht war Botschafter in Libyen und zuvor unter anderem an den Botschaften in Beirut und Riad. Als Vertreter der EU soll er die Position Europas vermitteln, aber auch die Bedürfnisse der syrischen Bevölkerung im Auge haben. Seine Mission fällt in eine heikle Phase des Übergangs. „Wir dürfen in Syrien kein Vakuum entstehen lassen“, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. 

4. Humanitäre Hilfe und Wiederaufbau fördern

Ein weiteres zentrales Anliegen ist die humanitäre Hilfe. Viele Menschen in Syrien sind in einer schwierigen Lage – explodierende Lebensmittelpreise und mangelnder Zugang zu grundlegender Versorgung verschärfen noch das Leid durch Krieg und Vertreibung. Deutschland setzt daher auf Soforthilfe in Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Welternährungsprogramm und dem UNHCR, während langfristig der Wiederaufbau unterstützt wird. Um die akute Notlage zu lindern, stellte die Bundesregierung kurz nach dem Sturz Assads bereits acht Millionen Euro zusätzlicher Hilfe bereit. 

5. Vergangenheitsbewältigung und völkerrechtliche Aufarbeitung

Parallel dazu bleibt die Vergangenheitsbewältigung von zentraler Bedeutung. Der Bürgerkrieg hat tiefe Wunden hinterlassen, und Deutschland setzt auf Gerechtigkeit und Aufarbeitung. Die Verbrechen des Assad-Regimes und anderer Konfliktparteien sollen aufgearbeitet werden. Deutsche Gerichte haben bereits in der Vergangenheit Haftstrafen gegen syrische Kriegsverbrecher verhängt. In einem Interview warnte Außenministerin Annalena Baerbock syrische Verbrecher vor einer Flucht nach Deutschland: „Wer von Assads Folterknechten darüber nachdenken sollte, jetzt nach Deutschland zu fliehen, dem kann ich nur klar sagen: Wir ziehen all die Schergen des Regimes mit der vollen Härte des Gesetzes für ihre furchtbaren Verbrechen zur Rechenschaft.“

6. Vernichtung von Chemiewaffen

Priorität hat auch die Sicherung und Vernichtung verbliebener Chemiewaffen des Assad-Regimes. Deutschland unterstützt die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) und steht bereit, logistische und technische Hilfe zu leisten, um die Region zu schützen. „Wir haben nun die Chance, die Welt ein für alle Mal vor diesen Chemiewaffen Assads sicher zu machen“, sagte Außenministerin Baerbock. „Die noch vorhandenen Waffen müssen daher möglichst rasch in internationales Gewahrsam genommen werden.“

7. Deutschlands diplomatische Präsenz in Syrien ausbauen

Darüber hinaus plant die Bundesregierung, ihre diplomatische Präsenz in Syrien wieder aufzubauen, sobald die Umstände dies zulassen, um politische Dialoge im Land zu stärken. Aktuell setzt Deutschland auf eine Pendeldiplomatie aus dem Libanon. Sonderkoordinator Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, organisiert das deutsche Engagement und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern vorerst aus Beirut. 

8. Eine sichere Rückkehr nach Syrien ermöglichen

Ein zentrales Ziel bleibt es, syrischen Geflüchteten eine sichere Rückkehr zu ermöglichen – aber auch Bleibechancen in Deutschland zu eröffnen. Der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, wies darauf hin, dass viele Syrerinnen und Syrer in Deutschland gebraucht würden: „Sei es in der Pflege, in Krankenhäusern, bei Post- und Paketdiensten, im Versandhandel oder vielen anderen Berufen. An sehr vielen Stellen sorgen aus Syrien geflüchtete Menschen dafür, dieses Land am Laufen zu halten.“

Langfristige Perspektiven in Syrien schaffen

„Das syrische Volk hat entsetzliches Leid erfahren“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. „Wir werden die zukünftig Regierenden daran messen, ob sie allen Syrern ein Leben in Würde und Selbstbestimmung ermöglichen.“ Der Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung formuliert einen klaren Weg dorthin: humanitäre Hilfe, Stabilität und langfristige Perspektiven für ein Land, das endlich Frieden verdient.