Deutschland hilft: Wie Ehrenamtliche die Ukraine unterstützen
Viele Deutsche versuchen, durch persönliches Engagement das Leid in der Ukraine zu lindern – zum Beispiel Johannes Kolz und Margarete Brunnhuber.
Ein Spätsommertag in der Ostukraine, 40 Kilometer vor der Front. Zwischen Schlaglöchern und Kratern bahnt sich ein Kleinbus mit deutschem Kennzeichen seinen Weg. Am Steuer: Johannes Kolz aus Trier. 2.600 Kilometer liegen hinter ihm, als er Isjum erreicht – die Partnerstadt von Trier. Kurz nach Kriegsbeginn, vor bald vier Jahren, besetzten russische Truppen Isjum für sechs Monate. Hunderte Soldaten und Zivilisten wurden getötet oder verwundet, etliche Gebäude zerstört. Einst lebten hier 60.000 Menschen, heute sind es 25.000.
Nicht reden, sondern machen
Kolz’ Mitstreiter bringen in einem 40-Tonner-Lkw zahlreiche Hilfsgüter nach Isjum – von Medizinprodukten und Hygieneartikeln über Notstromaggregate bis hin zu Fahrrädern. Doch in seinem Kleinbus hat Kolz eine etwas andere Fracht: Zeichenbedarf, Spielsachen, Kuscheltiere. „Ich bin das Hilfsgut Fantasie“, sagt der 54-Jährige lächelnd. Denn Kolz ist kein Profihelfer, sondern Cartoonist. Im Juli 2025 hatte er Jugendlichen aus Isjum, die für eine Ferienfreizeit Trier besuchten, einen Zeichenkurs gegeben. So entstand der Kontakt zur Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft (DUG), die seit langem alles tut, um die Not in der Ukraine zu lindern. Als die DUG Kolz fragt, ob er auch in Isjum Kurse geben würde, zögert er zunächst. „Ich musste erstmal mit meiner Frau sprechen“, erzählt er. „Wir haben drei kleine Kinder – da überlegt man zweimal, ob man in ein Kriegsgebiet fährt.“ Doch seine Frau bestärkt ihn: „Man sollte nicht immer nur reden, sondern einfach etwas machen.“
So wird die Hilfsaktion zu einem Familienprojekt. Gemeinsam sammeln sie Zeichenblöcke, Stifte, sprachneutrale Spiele. Die Hilfs- und Spendenbereitschaft ist groß. Mehrere Vereine beteiligen sich, darunter Eifellicht e. V.. Lkw und Kleinbus sind bald randvoll gepackt, dann geht es los. Drei Tage Fahrt über hubbelige Straßen mit riesigen Schlaglöchern, gesäumt von Minenfeldern, durch etliche Militärkontrollen. Immer in Griffnähe: kugelsichere Westen und Überlebenskits.
Malen gegen die Dunkelheit
In Isjum angekommen, gibt Kolz für insgesamt rund 80 Kinder seine Zeichenkurse, in notdürftig hergerichteten Kellerräumen. Er motiviert sie, Tiere, Comics oder Traumorte zu malen. Alle machen begeistert mit, sind kreativ, fröhlich – und dankbar. „Die Kinder brauchen ein Werkzeug, um den Kopf frei zu kriegen“, sagt Kolz. „Zeichnen hilft, die Bilder des Krieges für einen Moment zu übermalen.“ Denn Normalität gibt es nicht. Schon auf der Hinreise erlebt Kolz immer wieder Luftalarm und Bombenangriffe. Fensterscheiben vibrieren, Menschen suchen Schutz in Kellern. Der Schrecken gehört längst zum Alltag. Die Kinder besuchen seit fünf Jahren, seit der Coronapandemie, nicht mehr die Schule – bekommen nur notdürftig Online-Unterricht. Viele sind traumatisiert.
Ein Leben für die Hilfe
Szenenwechsel. Rund 500 Kilometer südöstlich von Trier, im bayerischen Sauerlach bei München, stapeln sich in einem Privathaus Kartons – die nächste Hilfslieferung für die Ukraine ist in Vorbereitung. Etwa ein Dutzend Helfer packt an. Mitten im Geschehen: Margarete Brunnhuber, 70 Jahre alt. Seit mehr als 30 Jahren ist sie eine treibende Kraft des gemeinnützigen Vereins Hilfe für die Ukraine.
Begonnen hat alles mit einer anderen Katastrophe: Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 organisierte Brunnhuber mit dem Verein Erholungsaufenthalte in Deutschland für Kinder aus den verstrahlten Regionen. „Wir wollten ihnen zeigen, dass es eine Welt gibt, in der sie wieder frei atmen können“, erinnert sie sich. Mehr als 40-mal war sie seither in der Ukraine, spricht etwas Ukrainisch, hat viele Freundschaften geschlossen.
Seit dem russischen Angriff 2022 ist ihre Arbeit beschwerlicher – und dringlicher – geworden. Sie selbst fährt aus Sicherheitsgründen nicht mehr in die Ukraine, aber ihre Lastwagen sind weiter unterwegs. Mehrmals im Jahr schickt der Verein Hilfsgüter in Dörfer der Ostukraine: Heizöfen, Stromgeneratoren, medizinisches Gerät. „Jeder Euro, jede Decke, jede helfende Hand zählt“, sagt Brunnhuber. Alles wird akribisch dokumentiert, nichts geht verloren.
Spendenaufrufe, Logistik, Bürokratie: Das alles ist aufwendig – und zehrt, auch emotional. Als Anerkennung für ihren jahrzehntelangen Einsatz bekam Brunnhuber 2023 das Bundesverdienstkreuz. Doch viel wichtiger sind ihr die Herzlichkeit und Dankbarkeit der Menschen in der Ukraine. „Das gibt mir die Kraft, um weiterzumachen“, sagt sie.
Breites Engagement
Kolz und Brunnhuber stehen stellvertretend für Tausende in Deutschland, die der Ukraine helfen – ohne Mandat, ohne Bezahlung, aber mit großer Entschlossenheit. Viele Kommunen engagieren sich über ihre Städtepartnerschaften. Ehrenamtliche sind in kleinen und größeren Initiativen organisiert, etwa dem Blau-Gelben Kreuz. Sie sammeln in ihrer Freizeit Spenden und fahren Hilfskonvois in die Ukraine, teils unter Lebensgefahr. Andere engagieren sich in Netzwerken, um Geflüchtete zu unterstützen, und geben zum Beispiel Deutschkurse. Als Bündnis der deutschen Hilfsorganisationen sammelt die Aktion Deutschland Hilft Spenden. Das freiwillige Engagement füllt Lücken der staatlichen Hilfe; sie geht weit hinaus über Diplomatie und Waffenlieferungen. Vor allem schafft sie etwas, das keine Behörde leisten kann: menschliche Nähe.
Als Johannes Kolz nach zehn Tagen nach Trier zurückkehrt, braucht er eine Weile, um das Erlebte zu verarbeiten. „Ich bin eigentlich ein fröhlicher Mensch“, sagt er. „Aber das war schon eine Achterbahnfahrt der Gefühle.“ Sein Resümee mit etwas Abstand? „Es war wichtig.“