Die unsichtbare Bedrohung
In Syrien sterben täglich Menschen durch Sprengkörper im Boden. Deutschland hilft bei ihrer Beseitigung.
Nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg sind weite Teile Syriens von einer unsichtbaren Bedrohung gezeichnet: Landminen, improvisierte Sprengsätze und Blindgänger. Das Land ist einer der am stärksten kontaminierten Staaten der Welt. Nach Schätzungen liegen dort zwischen 100.000 und 300.000 explosive Kampfmittelrückstände verborgen – in Wohnhäusern, auf Feldern oder an Straßen. „Im Krieg verschoben sich immer wieder die Frontlinien, wodurch Minen und andere Sprengfallen über große Flächen verteilt wurden. Im Nordwesten des Landes gibt es beispielsweise ein Minenfeld, das sich über rund 200 Kilometer erstreckt“, erklärt Paul McCann, Kommunikationsleiter bei Halo Trust, einer humanitäre Organisation, die auf die Räumung von Landminen und anderen explosiven Kriegsmunitionsrückständen spezialisiert ist. Über 500 Menschen wurden laut Halo Trust seit dem Sturz Assads Ende 2024 in Syrien durch Minen und andere Sprengkörper getötet, mehr als 800 verletzt. Die Minengefahr erschwert nicht nur die Rückkehr von Binnenvertriebenen, sondern blockiert auch humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und Entwicklung. „Nach neuesten Schätzungen sind 15,4 Millionen Syrer – zwei Drittel der Bevölkerung – durch explosive Kriegsreste bedroht“, sagt Huberta von Roedern, Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Organisation Handicap International.
Humanitäre Minenräumung in Syrien
Deutschland gehört seit Jahren zu den wichtigsten internationalen Gebern im Bereich humanitäre Minenräumung. Zwischen 2022 und 2024 war die Bundesrepublik nach den USA der zweitgrößte bilaterale Unterstützer. Allein 2024 stellt das Auswärtige Amt 70 Millionen Euro bereit, um Minenräumprojekte weltweit zu fördern. In Syrien arbeitet das Ministerium eng mit den beiden humanitären Organisationen Handicap International und Halo Trust zusammen.
Zusammenarbeit mir Projektpartner vor Ort
In Nordostsyrien engagiert sich Handicap International. Dort werden Minen geräumt, Gefahrenzonen kartiert und Opfer unterstützt – durch medizinische und psychologische Versorgung, Rehabilitation und Programme zur sozialen Wiedereingliederung. „Solche Einsätze beginnen damit, dass sich unsere Teams mit den Bewohnerinnen und Bewohnern treffen und sie über die Gefahren informieren. Dann kümmern wir uns vorrangig um Schulen, Krankenhäuser und Wasseraufbereitungsanlagen und beseitigen dort erst einmal sichtbare Sprengkörper“, erklärt von Roedern. Zugleich klären die Teams von Handicap International die Bevölkerung über die Gefahren auf, indem sie Broschüren und Flyer verteilen und auf Social Media über Blindgänger informieren.
Neben der Räumung von Kampfmitteln, kümmert sich die Organisation auch um die Opfer von Minenunfällen. „Die Teams von Handicap International versorgen die Verletzten mit Physiotherapie, Rollstühlen, Gehhilfen und mit Prothesen. Zudem werden die meist stark traumatisierten Menschen psychosozial unterstützt“, so Rode. Diese Hilfe wurde inzwischen auch auf Familienmitglieder ausgeweitet.
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Einverständniserklärung öffnenIm Nordwesten und Süden Syriens ist Halo Trust seit 2016 aktiv. „Halo nutzt modernste Vermessungstechnologien und Drohnen und plant, den Einsatz von KI-gestütztem maschinellem Lernen zu erproben, um Räumungsprozesse auf großen Flächen zu beschleunigen“, sagt Kommunikationsleiter McCann. Zudem setzt die Organisation mechanisierte Geräte wie Frontlader – Fahrzeuge mit Frontschaufel zum Bewegen von Material – ein, um Land großflächig und schnell zu räumen. „Unsere 250 Mitarbeitenden in Syrien stammen zum Großteil aus den Gemeinschaften, in denen sie tätig sind“, erklärt McCann. Die Menschen kennen die Region und haben Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Das erleichtert die Arbeit. Neben Räumung und Kartierung führt die Organisation auch Gefahrenaufklärung durch. „Entlang der ehemaligen Frontlinien ziehen unsere Mitarbeitenden von Dorf zu Dorf. Sie klären Menschen in Schulen, Gemeindezentren, Moscheen und sogar draußen auf den Feldern auf – dort, wo Kinder ihre Schafe und Ziegen hüten“, sagt McCann. 700.000 Menschen hat Halo Trust so bereits über die Gefahren von Minen und Blindgängern aufgeklärt.
Ehemalige Frontlinien besonders stark vermint
Doch die Herausforderung bleibt groß. Experten rechnen damit, dass die vollständige Beseitigung der Kampfmittel noch viele Jahre dauern wird. Besonders stark betroffen sind die früheren Frontverläufe, die sich über Hunderte von Kilometern durch das Land ziehen. Dort hinterließen die Kämpfe verminte Erdbarrieren, Gräben und Befestigungen. Heute werden in diesen Gebieten immer noch zahlreiche Blindgänger, Streubomben und Raketen gefunden – oft direkt in Wohnhäusern, Gärten oder auf Feldern.